Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
Vom Netzwerk:
Hoffnung hingab, sein Leben in den Griff zu bekommen. Er sah in seinem Schicksal ein lebendiges, schuldiges Wesen, dem man Vorwürfe machen konnte, mit dem man unzufrieden sein und an dem man zweifeln konnte. Unter dieser Einschätzung litt auch seine Arbeit. Und obwohl er wusste, dass er weder hart gesotten noch besonders scharfsinnig oder vorbildlich war (weshalb ihn einige seiner Kollegen dennoch als einen guten Polizisten betrachteten), war er der Meinung, dass er in einem anderen Beruf mehr hätte leisten können. Doch dann überspielte er sein Gejammere durch kalkulierte Effizienz, die ihm zu einem Ansehen verhalf, das er als einen fortgesetzten, nie aufgeklärten Betrug ansah.
    Tamaras Rückkehr in sein Leben störte nun die träge Ruhe, die er erlangt hatte, nachdem Haydée von ihm fortgegangen war. Abende mit Baseball, Rum, Musik von früher und üppigem Essen, dazu die Gespräche mit dem Dünnen und der Wunsch, das alles möge nicht wahr sein. Dann war der Dünne wieder dünn und musste noch nicht sterben, und er glich auch nicht jenem Fleischkloß, der jetzt, nach dem Essen, mit nacktem Oberkörper im Patio saß und sich die Mittagssonne auf den Pelz brennen ließ. Mario Conde sah die Fettpolster, die wie Rettungsringe auf dem Bauch des Freundes lagen, und die roten Pünktchen auf Rücken, Hals und Brust, die wie Einstiche blutrünstiger Insekten aussahen.
    »Woran denkst du, Bär?«, fragte er und verstrubbelte ihm das Haar.
    »An nichts, Löwe«, antwortete Carlos. »Ich dachte eben an das ganze Theater um Rafael und dann plötzlich an gar nichts mehr.« Er sah auf die Uhr. »Wann wirst du abgeholt?«
    »Jetzt gleich. Manolo muss jeden Moment hier sein. Wenn ich heute nicht mehr vorbeikommen kann, ruf ich dich an und erzähl dir, was es Neues gibt.«
    »Aber denk nicht zu viel, ist nicht gut für die Verdauung.«
    »Was soll ich denn sonst tun, Dünner?«
    »Vergiss mal für ’ne Weile den Scheiß, mein Lieber! Der stinkt nämlich nicht weniger, nur weil du den ganzen Tag darüber nachdenkst. Genauso wie beim Baseball: Wenn du gewinnen willst, musst du auf alles scheißen! Sonst wirst du in die Pfanne gehauen, auch wenn du dabeistehst. So wie bei dem Spiel damals gegen die Weicheier von La Habana. Die hätten wir beide fast im Alleingang fertig gemacht, erinnerst du dich?«
    »So als wärs gestern gewesen.« Mario Conde nahm die Haltung eines batter an und holte zum swing aus . Und beide sahen, wie der Ball flog und flog, dem Auffangzaun unter der Anzeigetafel entgegen, in der einsamsten Zone des centerfield.
     
    »Surprise!«, rief Teniente Wong. Ihre Augen wurden von ihrem Lachen verschluckt. In der rechten Hand schwenkte sie zusammengeheftete Listen, offenbar der Grund für ihren Jubel. Mario Conde empfand ihre Freude wie eine Transfusion, die unmittelbar in seinen Körper eindrang und ihn zu durchfluten begann, mit einer Geschwindigkeit, die ihn erzittern und sein Herz höher schlagen ließ.
    »Haben wir ihn?«, fragte er und tastete in seiner Jackentasche nach der Zigarettenschachtel. Als er sah, wie seine Kollegin heftig nickte und die Augen in ihrem Gesicht erneut verschwanden, hätte auch er vor Freude beinahe aufgeschrien.
    »Endlich haben wir was, verdammt«, seufzte Manolo und schnappte sich die Zigarette, die El Conde sich gerade in den Mund stecken wollte. Der Teniente hasste diesen Scherz, auf den sein Kollege zwar nur selten, aber immer wieder im passenden Moment zurückgriff. Doch er verzichtete auf die üblichen Beschimpfungen, zog einen Stuhl heran und setzte sich neben Patricia Wong.
    »Und, China, was habt ihr gefunden?«
    »Wie du gesagt hast, Mayo, genau wie du gesagt hast! Nur noch komplizierter. Schau, das hier ist wohl der Anfang vom Ende. Und dabei fehlt uns noch ein ganzer Stoß von Unterlagen, die wir noch nicht durchgesehen haben. Ein ganzer Stoß«, wiederholte sie und fing an, irgendetwas in den Listen zu suchen. »Aber das hier ist schon ’n Hammer, Mayo. Im zweiten Halbjahr 88 war Rafael Morín zweimal in Spanien und einmal in Japan. Hatte mehr Flugstunden als ein Kosmonaut … In Japan war er, um ein Geschäft mit Mitachi abzuschließen. Aber dazu später.«
    »Weiter, weiter«, drängte Mario sie.
    »Sieh dir das an, in Spanien war er sechzehn beziehungsweise achtzehn Tage, in Japan neun. Jedes Mal standen vier Verträge zum Abschluss, außer beim ersten Mal in Spanien, da warens nur drei. Die Repräsentationsausgaben – ich hätte nie gedacht, dass die so hoch sind

Weitere Kostenlose Bücher