Ein perfektes Leben
ungefähr, Mayo.«
»China, ich weiß, warum einige fehl am Platze sind, und ich glaube, ich weiß, wo die sind, die fehlen.«
Als Mayor Rangel zu mir sagte, hier kannst du ohne Uniform erscheinen, du musst in Zivil arbeiten, und als ich ihn mit seiner olivgrünen Jacke sah, mit Rangabzeichen auf den Achselstücken und am Kragen, so beeindruckend, da dachte ich: Das ist ein Witz, dann kann ichs ja auch gleich sein lassen. Denn es war fast so, als wä ich kein Polizist mehr, jetzt, da ich gerade anfing, ein richtiger Polizist zu werden. Als ich nach der Akademie zum ersten Mal in Uniform auf die Straße ging, hab ich mich einerseits geschämt, die Leute schauten mich an, und andererseits hatte ich das Gefühl, jemand zu sein. Die Uniform war knapp geschnitten und ließ mich irgendwie vollständiger aussehen, anders als die andern. Ich glaubte, die Leute würden mich immer so ansehen, ob ich wollte oder nicht, denn jetzt unterschied ich mich von allen andern. Und das gefiel mir und gefiel mir auch wieder nicht. Ein sehr seltsames Gefühl. Als Junge hab ich mich ständig verkleidet, aber weil ich so dünn war, kam es mir nie in den Sinn, Polizist, General oder Kosmonaut zu werden wie andere Jungen. Aber ich verkleidete mich eine Zeit lang als Zorro, dann als Robin Hood und als Pirat mit Augenklappe. Vielleicht hätte ich besser Schauspieler werden sollen und nicht Polizist. Aber ich bin Polizist geworden, und ehrlich gesagt, glaube ich, dass mich die Uniform von Anfang an fasziniert hat, wirklich. Und ich glaube allen Ernstes, dass ich »Polizist« gespielt hab, jedenfalls bis zu dem Tag, als ich im Streifenwagen der Akademie nach El Moro kam, zu diesem Loch. Als wir aus dem Wagen stiegen, wurden wir von einer Menschenmenge erwartet, ich glaub, das ganze Viertel war da, und alle schauten uns an. Ich rückte mir meine neue Schirmmütze zurecht, die weder meine noch neu war, strich mir die Hose glatt und setzte die dunkle Brille auf. Ich hatte Publikum, ich war wichtig, nicht wahr? Die Frau mit dem Herzanfall war bereits ins Krankenhaus gebracht worden. Es herrschte Totenstille, denn jetzt kamen wir, verstehst du? Ein alter, weißhaariger Schwarzer, also, der war uralt, und er war Vorsitzender des Comité des Viertels, und er sagte zu uns: Hier entlang, Genossen, und wir betraten das kleine Häuschen. Das Dach war aus Zinkblech, und die Wand bestand zum Teil aus unverputzten Ziegeln, zum Teil aus Presspappe und wieder Zinkblech. Gleich wenn du reinkommst, fühlst du dich wie Brotteig auf einem Blech, das in den Ofen geschoben wird. Du kapierst nicht, wie es Leute geben kann, die immer noch so leben. Und auf einem Bett lag … Ich bin beinahe ohnmächtig geworden, noch beim Erzählen wird mir schlecht, ich seh sie noch genau vor mir, ich spür sogar noch die Hitze des Backofens. Das Laken war voller Blut, auf dem Boden Blut, an der Wand, und sie lag da, zusammengekrümmt, ohne sich zu bewegen. Sie war tot. Der Stiefvater hatte sie umgebracht, als er versucht hatte, sie zu vergewaltigen. Später hab ich erfahren, dass sie grade mal sieben war. Ich verfluchte die Stunde, in der ich zur Polizei gegangen war, denn, Scheiße noch mal, ich hatte wirklich gedacht, dass so etwas nicht passieren kann. Aber wenn du Polizist bist, lernst du, dass so etwas sehr wohl passieren kann, so was und noch viel Schlimmeres, und dass das deine Arbeit ist. Und dann kommen dir Zweifel, ob du das tun sollst, was sie dir auf der Akademie beibringen, oder ob du deine Pistole rausholen und gleich an Ort und Stelle sechsmal auf den schießen sollst, der das gemacht hat. Ich war drauf und dran, den Dienst zu quittieren, aber dann bin ich doch geblieben. Später wurde ich in die Kripozentrale versetzt, und da hat der Mayor zu mir gesagt: Du kommst jetzt ohne Uniform und arbeitest mit Mario Conde. Ich glaub, von dem Tag an hat es mir Spaß gemacht, Polizist zu sein. Das verstehst du nicht, nein? Auch wenn ich jetzt ohne Uniform auf die Straße geh und die Leute nicht wissen, wer ich bin, das ist mir inzwischen egal, du hast mir dabei geholfen, dass mir das jetzt egal ist, aber mehr noch helfen mir so Leute wie Rafael Morín. Was für ein Typ! Wie zum Teufel kann sich einer wie er einfach nehmen, was mir gehört und dir und dem Alten, der an der Ecke steht und Zeitungen verkauft, und der Frau da, die gleich über die Straße geht und die irgendwann mal sterben wird, ohne zu wissen, was es heißt, ein Auto zu besitzen oder ein schönes Haus oder
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