Ein Pony mit Herz
Annehmlichkeiten — vorzufinden, war allemal der heimische Stall. Was also lag näher, als die kleine fremde Stute mit nach Hause zu nehmen?
Zottel brummelte zuversichtlich und nahm sofort Imponierhaltung an. Er trippelte an der Schwarzweißen vorbei, warf auffordernd den Kopf hoch und schlug den Weg ein, der hinter dem Dorf direkt bis zum Grundstück der Familie Abromeit führte. Die Stute folgte ihm willig.
H aus und Hof lagen wie ausgestorben, nur Moischele wieherte ihnen aus dem Stall entgegen. Zottels Boxentür stand weit offen - und tatsächlich war die Krippe bereits gut und reichlich gefüllt. Irgendwo weit draußen auf der Koppel und am Waldrand hörte Zottel Stimmen: da riefen Bille, ihre Mutter und Billes Stiefvater Onkel Paul seinen Namen. Einen Augenblick zögerte Zottel, denn die Rufe hörten sich sehr besorgt und dringlich an. Er schwankte unschlüssig hin und her, machte ein paar Schritte in Richtung der Stimmen, doch schließlich hatte er eine Verpflichtung. Er konnte unmöglich die neue Ponystute ihrem Schicksal überlassen. Außerdem hatte er Hunger. Wenn er jetzt Bille nachlief, würde ihm die Schwarzweiße bis zu seiner Rückkehr kein Krümchen übriggelassen haben, das war ihm klar. Und das wollte er nicht riskieren.
Bille würde sicher bald wieder nach Hause kommen. Dann würde sie ihn friedlich schlafend in seiner Box vorfinden, als wäre er schon seit Stunden dort.
Draußen am Waldrand gaben die drei Suchenden auf. „Nun mach dir keine Sorgen, mein Deern“, sagte Onkel Paul und legte Bille tröstend den Arm um die Schultern. „Der Dicke kommt schon wieder zurück. So wie immer!“
„Aber wie konnte er von der Koppel verschwinden? Das Gatter war doch fest verschlossen!“ jammerte Bille. „Wenn er nun entführt oder gestohlen worden ist! Es passiert so viel mit Pferden!“
„Aber Kind, glaubst du im Ernst, daß ein Dieb sich die Zeit nehmen würde, das Gatter wieder so sorgfältig zu schließen?“ widersprach Billes Mutter. „Nein, nein, sicher ist das ein Streich der Kinder aus dem Dorf. Sie haben mit ihm spielen oder ihn reiten wollen, und dabei ist er ihnen entwischt. Es wäre doch nicht das erste Mal!“
Bedrückt machten sie sich auf den Heimweg. Was mochte Zottel wieder angestellt haben? Und war es nicht doch möglich, daß er entführt worden war und der Täter das Gatter so sorgfältig geschlossen hatte, damit man das Verschwinden des Ponys nicht so schnell bemerkte?
„Ich werde sofort die Polizei benachrichtigen, Mutsch“, sagte Bille bedrückt, als sie sich dem Grundstück näherten.
Na, zuerst würde ich mal nachsehen, ob das Schlitzohr nicht inzwischen längst wieder in seiner Box steht!“ brummte Onkel Paul. „Das hat er doch schon einmal gemacht!“
„Klar, das tue ich sowieso!“ sagte Bille schnell.
Der Hof schien so still wie vor zwei Stunden, als sie sich auf die Suche begeben hatten. Bille war zum Heulen zumute. Wie hatte sie Zottel in letzter Zeit nur so vernachlässigen können! Vor lauter Arbeit mit den anderen Pferden hatte sie sich für ihren besten Freund kaum mehr Zeit genommen. Als hätte er ihre Zuwendung nicht genauso gebraucht! Jetzt, wo Lena sich nicht um ihn kümmern konnte und auch die anderen keine Zeit für ihn hatten. Sie bereute bitter, daß sie nicht öfter bei ihm gewesen war. Verzweifelt betrat sie den Stall und schaltete das Licht ein.
Dumpfes Brummen drang aus Zottels Box.
Aber was war das? Das war doch nicht Zottel? Ein fremdes Pony ... die Größe stimmte, der lustige, freche Gesichtsausdruck stimmte, die klugen Augen ... aber dieses Pony war ganz offensichtlich schwarzweiß. Und dabei entsetzlich mager! Und so schmutzig.
Bille trat näher. Kein Zweifel, vor ihr stand ein fremdes Pony! „Das gibt’s doch nicht! Und wo ist Zottel?“ rief Bille verdutzt. „Will mir hier einer einen Streich spielen?“
Schwerfällig stand Zottel auf und schüttelte sich. Gerade hatte er so schön geträumt! Mußte sie ihn denn jetzt wecken, wo er so einen anstrengenden Tag hinter sich hatte!
„Zottel! Was soll das bedeuten? Wen hast du uns denn da mitgebracht? Könnte fast eine Verwandte von dir sein!“ Plötzlich kam Bille die Erleuchtung. Aufgeregt stürzte sie nach draußen.
„Mutsch, Onkel Paul, kommt schnell mit! Es ist etwas Irres passiert! Wir haben einen Detektiv in der Familie!“
Billes Eltern kamen neugierig näher und betraten den Stall.
„Zottel! Ich habe euch doch von dem verschwundenen fünfzehnten Pferd erzählt!
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