Ein Pony mit Herz
Gatter hindurchzurollen!
Nachdem der Höflichkeiten genug gewechselt waren, machte sich Zottel an die Arbeit. Er trabte zum Gatter, stellte sich seitlich zu den Stangen auf und ließ sich auf den Boden nieder.
Hoppla, das war zu knapp. Er mußte anders Maß nehmen. Noch einmal die Prozedur, diesmal mit etwas mehr Abstand zu den Stangen. Hinlegen, Beine anziehen, rollen ... Fehlanzeige. Er war entschieden zu dick! Zottel sprang wieder auf die Beine und scharrte enttäuscht mit den Hufen. Dicht neben dem Gatter entstand eine kleine Rille. Der Raum zwischen der untersten Stange und dem Boden vergrößerte sich. Das war die Lösung!
Zottel scharrte heftiger. Der Boden war weich, die Erdbrocken flogen nur so in alle Richtungen. Bald befand sich unter dem Gatter eine flache Mulde in der Größe seines Körpers, die gerade genug Platz bot, um sich unter den Stangen hindurchzukugeln.
Der dritte Versuch gelang! Zwar sah Zottel mit seiner Kruste aus Lehm und schlammiger Erde jetzt aus wie ein frisch in Schokoladenglasur getauchter Krapfen, aber damit glich er zum Verwechseln der schwarzweißen Stute, was machte das also. Er war in Freiheit! Gleich darauf wälzte sich auch die Stute wieder unter dem Gatter hindurch und sprang neben ihm in die Höhe. Hell wiehernd sah sie ihn an.
Das war geschafft. Als nächstes brauchten sie nun eine kräftige Mahlzeit. Zottel setzte sich in Trab und schlug die Richtung zur Feriensiedlung ein. Es kam seinen Plänen zustatten, daß dort um diese Jahreszeit unter der Woche nicht viel Betrieb herrschte. Nur an Wochenenden und zu Weihnachten kehrten die Bewohner in Scharen in ihre Ferienhäuser und Wohnungen zurück. Man konnte sich also in Ruhe einmal umsehen, wo noch Äpfel am Baum hingen, oder ob Reste von altem Brot oder Gemüse auf den Komposthaufen lagen.
Und dann gab es da noch das Bistro, das durchgehend geöffnet war, weil es sich bei den Wedenbruckern großer Beliebtheit erfreute. Im Winter arbeiteten dort nur halb so viele Zweibeiner wie in der Sommersaison, genau gesagt waren es drei: eine Kellnerin, der Besitzer, der zugleich Koch war, und die Frau des Besitzers, eine zwei Zentner schwere Person, die im Lokal und in der Küche aushalf. Drei Leute konnten unmöglich ihre Augen überall haben, — und schon gar nicht draußen im Hinterhof, wo sich ein Anbau mit einem Vorratsraum befand. Manchmal vergaß die dicke Wirtin, die Tür dieses Vorratsraums zu schließen, das wußte Zottel aus Erfahrung.
Der Weg durch die Gärten brachte einen ersten Erfolg. Tatsächlich hingen an einem Apfelbaum ein paar verschrumpelte Früchte in einer Höhe, die man gerade noch erreichen konnte. Oder auch gerade nicht mehr, wie Zottel bedauernd feststellte. Doch wieder mußte er erkennen, daß seine neue Freundin ihm einige Tricks voraus hatte. Das war vielleicht kein Wunder, wenn man bedachte, wie gut es Zottel hier in Wedenbruck ging und wie reichlich für seine Nahrung gesorgt wurde. Das machte einen mit der Zeit ziemlich bequem. Wenn man dagegen täglich um das pure Überleben kämpfen mußte, fiel einem eine Menge ein, um etwas zu fressen zu finden. Zottel hatte während seiner Zirkusjahre lange genug diese Erfahrung gemacht. Während er jetzt unter dem Baum stand und betrübt erkennen mußte, daß die besten Äpfel für ihn unerreichbar waren, stellte sich die Stute neben ihm auf die Hinterbeine, schob die Vorderbeine über seinen Widerrist, stützte sich mit ihrem ganzen Gewicht kräftig auf seinem Rücken ab, reckte Hals und Kopf und gewann dadurch genau die Zentimeter an Höhe, die ihm gefehlt hatten. Zottel begann, seine neue Gefährtin mehr und mehr zu schätzen, auch wenn sie ihm von den Äpfeln, die sie sich angelte, keinen abgab. Das mußte man ihr wohl nachsehen, so ausgehungert wie sie war. Es war unglaublich, wie schnell sie fressen konnte! Zottel empfand Unbehagen. Hoffentlich gab sich das mit der Zeit. Höflichkeit war ja ganz schön, aber Leckerbissen teilte er ungern.
Die Stute rutschte von Zottels Rücken hinunter und schnaubte zufrieden. Na, wenigstens hatte es ihr geschmeckt.
Bis zum Bistro war es nicht weit. Sie brauchten nur über die jetzt leeren Parkplätze zu laufen, die von hohen Hecken und Bäumen gesäumt waren und einen guten Sichtschutz boten, und schon landeten sie auf dem Hinterhof des Lokals. Wie immer stand das Küchenfenster offen, Dampfschwaden drangen nach draußen, durch die Wolken hindurch sah man den Wirt schwitzend am Herd stehen und in Töpfen rühren. Es
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