Ein Prinz wie aus dem Maerchen
Als sie es sich in der luxuriösen Limousine
bequem machte, fühlte sie sich in ihrer schlichten, preiswerten
Garderobe wie ein Fisch auf dem Trockenen. Und irgendwie kam das der
Wahrheit sehr nahe.
Sie
hatte ihr ganzes Leben in einem stillen Landhaus verbracht und nur
selten jemanden außerhalb des begrenzten Freundeskreises ihrer
Mutter getroffen. Percy hatte Sarah Lawson geheiratet, als Faye fünf
war. Durch einen Autounfall gelähmt, der ihren ersten Ehemann
das Leben gekostet hatte, war Fayes Mutter an den Rollstuhl gefesselt
und maßlos einsam gewesen. Sie war allerdings auch eine
wohlhabende Witwe gewesen. Nach ihrer Hochzeit hatte Percy weiterhin
in einem Apartment in der Stadt gewohnt und unter Hinweis auf seine
Arbeitsbelastung seine neue Familie nur gelegentlich besucht.
Faye
war nie wie andere Kinder zur Schule gegangen. Sowohl sie als auch
ihr Bruder waren anfangs von ihrer Mutter zu Hause unterrichtet
worden, aber nachdem Adrian von der Leukämie genesen war, hatte
Percy seine Frau überredet, den Jungen die Ausbildung mit
Gleichaltrigen beenden zu lassen. Mit elf Jahren hatte Faye sich
verzweifelt nach Freundinnen gesehnt und schließlich den Mut
aufgebracht, ihrem Stiefvater zu sagen, dass auch sie auf eine
öffentliche Schule wolle.
"Und
was soll deine Mutter den ganzen Tag allein mit sich anfangen?"
hatte er mit Furcht erregender Miene geschrien. "Wie kannst du
nur so selbstsüchtig sein! Deine Mutter braucht deine
Gesellschaft … das ist alles, was sie im Leben hat!"
Mit
achtzehn wäre Faye am Tod ihrer sanften Mutter beinahe
zerbrochen. Erst da hatte sie erkannt, dass manche Menschen glaubten,
sie hätte ein für einen Teenager unnatürlich behütetes
Dasein geführt. Bei einem Vorstellungsgespräch für
eine Ausbildung zur Krankenschwester, die sie im Herbst zu beginnen
hoffte, waren etliche kritische Bemerkungen über ihre mangelnde
Erfahrung mit der wirklichen Welt gefallen. Dabei hätte
sie jedem erzählen können, dass man mit einem Stiefvater
wie Percy Smythe unweigerlich einen umfassenden Einblick in die
hässlichen Seiten des Lebens gewinnen musste.
Nach
einer Fahrt durch die breiten, belebten Straßen, vorbei an
einem von hohen Bäumen gesäumten Platz, hielt der Wagen vor
einem imposanten alten Sandsteingebäude mit einem prächtigen
Tor, das von Soldaten in Paradeuniform bewacht wurde. Verunsichert
stieg Faye aus.
Sie
ging die Treppe hinauf und betrat eine weitläufige,
eindrucksvolle Halle, in der ein stetes Kommen und Gehen herrschte.
Stirnrunzelnd blieb sie stehen.
Ein
junger Mann im Anzug näherte sich ihr und verbeugte sich. "Miss
Lawson? Ich führe Sie zu Prinz Tariq."
"Danke.
Ist dies der königliche Palast?"
"Nein,
Miss Lawson. Obwohl die Haja-Festung noch immer der
königlichen Familie gehört, erlaubt Seine Königliche
Hoheit, dass sie als öffentliches Gebäude genutzt wird",
erklärte er. "Hier befinden sich das Gericht, die
Audienzräume sowie Konferenzund Bankettsäle für
Würdenträger und Geschäftsleute, die bei uns zu Gast
sind. Prinz Tariq unterhält hier zwar Büros, wohnt aber im
Muraaba-Palast."
Faye
betrachtete die hohen Säulen, die die hohe Decke der Halle
trugen, und den herrlich schimmernden Mosaikboden. Die Haja summte
wie ein Bienenstock. Ein Stammesältester saß auf einer
Steinbank und hielt eine Ziege am Strick. Faye sah von Kopf bis Fuß
schwarz verschleierte Frauen und andere in eleganter westlicher
Kleidung mit hübschen, ernsten Gesichtern, Gruppen von älteren
Männern, die die traditionelle Kopfbedeckung, die "kaffiyeh",
trugen, und jüngere in Anzügen mit bloßem Kopf und
Akten oder Diplomatenkoffern in der Hand.
"Miss
Lawson …?"
Rasch
folgte Faye ihrem Begleiter zu einem Seitengang. Wachen, die sowohl
mit Gewehren als auch mit kunstvollen Schwertern bewaffnet waren,
flankierten eine weit geöffnete Tür. Mit klopfendem Herzen
ging sie hindurch. Plötzlich fand sie sich allein in einem üppig
bewachsenen Innenhof wieder, dessen Mittelpunkt ein malerisches
Wasserbecken bildete. Als sie Schritte hörte, drehte sie sich um
und sah Tariq eine Treppe herunterkommen.
Zu
ihrer größten Verwunderung war er für einen Ausritt
gekleidet: ein weißes Polohemd, hautenge helle Breeches, die
seine schmalen Hüften und muskulösen Beine betonten, und
glänzende braune Stiefel.
Sie
hatte ganz vergessen, wie groß Tariq ibn Zachir war und welch
überwältigende Ausstrahlung er besaß. Seine
athletische Gestalt und die geschmeidigen Bewegungen
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