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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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zu
trinken und schwitzen zum Davonschwimmen. Der Mönchs-Bauer hat sich langsam
beruhigt, und der Dicke unterhält sich mit Freunden über acht Bänke hinüber.
    Und bevor es wieder anfängt,
hat die Kapelle ein Lied intoniert, eins, das alle mitsingen, eins von den
Liedern, von denen man sofort spürt: dies ist viel mehr als ein Schlager, das
ist ein Volkslied. Sie wiegen sich im Sitzen auf ihren Plätzen, viele summen
nur mit, wie man etwas summt, von dem es nicht erst lohnt, die Worte noch
auszusprechen. Sie summen gewissermaßen die Worte. Da strahlt die buttergelbe
Spätnachmittagssonne durchs Gebüsch und über die hohen Bäume, der Himmel ist
blitzblau, die Kapelle bläst, gleich werden sie anfangen, zu spielen — und ich
fühle: Dies ist einer von den Nachmittagen, der mitgedacht wird, wenn die
Basken denken: Heimat! Dieses Glück, mit keinen Worten ausdrückbar, in nichts
anderm bestehend als eben in der fünfhundertsten Wiederholung dessen, was schon
die Väter und deren Väter Sonntag nachmittags getrieben haben — in nichts
anderm als in einer Vereinigung, die nur zu Hause möglich ist: dieser Schein
der Sonne und kein andrer, dieses Lied und die geschweifte Ballmauer, die
vertrauten Bänke und die altvertrauten Scherze und Zurufe — das sind die
Stunden, nach denen sich der Baske in Amerika sehnt, wenn er zurückdenkt: an
den Ballplatz, die Pelote und an noch etwas: er wird Freunde auf der Welt
haben, auch anderswo, gewiß. Er wird sie gern haben. Aber er wird nirgends,
nirgends auf der ganzen Erde, noch einmal dieses Zusammengehörigkeitsgefühl
haben wie hier, die Tuchfühlung, den tiefen Ruck im letzten Winkel der
Herzgrube: Heimat.
    Merkwürdig, wie eng dieses Heimatgefühl
ist. Hier hat kein Staat die Finger und die Fahnen hereinzustecken — niemals
meint man ihn, wenn so gefühlt wird. In Deutschland habe ich dieses Empfinden
besonders in der frankfurter Gegend und in Hamburg angetroffen; auch die
Berliner wollen es für sich in Anspruch nehmen. Otto Reutter, der verflossene
Coupletsänger, der im letzten Hosenknopf mehr Witz und Humor hatte als heute
ein ganzes Weincabaret mit garantiert exklusivem Publikum, Otto Reutter hat im
Laufe seiner vierhundertachtundachtzig Couplets auch eines gesungen, das den
Refrain hatte: «Da bin ich stolz, daß ich ein Deutscher bin!» — Und die
siebzehnte Strophe dieses Liedes schilderte, wie er in einem feinen
französischen Seebad abends auf dem Kai spaziert und sich plötzlich eine piekfeine
Halbmondäne an ihn heranmacht.
     
    Die
Kurkapelle spielt so ihre Weise,
    die
Dame drängt sich sachte zu mir hin...
    «Na,
Dickchen, auch aus Preußen —?» sagt sie leise.
    Da
bin ich stolz, daß ich ein Deutscher bin —!
     
    «Bravo, Léon —! Bravo, Léon —!»
Léon hats gemacht. Die Spanier haben eins aufs Dach bekommen, aber man spendet
ihnen ritterlichen Beifall. Alles trubelt durcheinander, keiner geht. Es wird
noch getanzt.
    Das Orchester setzt sich auf
die Zuschauerbänke: ernste schnauzbärtige Männer, denen man solch einen Lärm
gar nicht zutrauen möchte, und eine ‹xülüla› hat sich dazugetan, eine kleine
gellende Flöte. Der Spielplatz ist jetzt frei. Und die Männer tanzen.
    Diese ‹baskischen Sprünge›
werden ausschließlich von Männern getanzt. Auf den baskischen Festen zu Mauléon
im Jahre 1896 hat ein junges Mädchen mitgewirkt, und das ist eine Sensation
gewesen. Da diese Tänzer hier nicht in Festkleidung — weiß mit roter Schärpe —
sind, so nimmt sich der Tanz absonderlich genug aus. Sie bilden einen Kreis und
tanzen, jeder für sich. Ein Dicker walzt da sein Fett auf und ab, daß einem
himmelangst wird, ich zum Beispiel sehe Schlaganfälle nur ungern. Ein Junge
tanzt entzückend, er hält den Oberkörper ganz still und tanzt so leicht! Bald
dreht sich der Kreis links, bald rechts herum, sie berühren sich aber nicht mit
den Händen, sie tanzen ganz allein. Beifall. Bis —!
    Bis.
    Darauf: Fandango. Den tanzen,
immer ohne sich anzufassen, zwei kleine Gruppen, aus zwei Männern bestehend.
    Aber nun bleiben die Männer
nicht allein. Zwei Spanierinnen, die hier zu Besuch sind, haben sich dazu
gesellt und tanzen den Fandango. Auf einmal wird klar, was der Tanz eigentlich
ist und bedeutet; er bekommt Farbe und hat offenbar einen weit, weit entfernten
Verwandten bei den Mauren: den Bauchtanz. Aber die jungen Mädchen tanzen so
diskret, sie schnipsen mit den Fingern, weil niemand Kastagnetten hat, sie
wenden sich und drehen sich,

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