Ein Pyrenäenbuch
Gesichter! Welch
ruhiger, selbstbewußter Ausdruck in den Augen! Diese Leute versetzen einen in
Wohlbehagen.
Mittag essen manche, die zum
Markt gekommen sind, im Hotel. Das hat ein hohes Zimmer, mit einer
großblumigen, hellen Tapete — und die schwarzrockigen Bauern heben sich scharf
von der Wand ab. Sie sitzen und essen, gut und reichlich und nicht zu schnell;
ein Violinspieler kommt und geigt ihnen etwas vor, vielleicht ein Bauer, der
ins Unglück geraten ist, sein Kind sammelt mit dem Teller und bekommt seine
Sous. Am Ecktisch sitzen Majors. Pensionierte Offiziere scheinen auf der ganzen
Welt gleich zu sein. Alle haben sie diese anständige, etwas verblühte Frau, die
unschöne, eckige Tochter, und Papa bestellt so laut Käse, als ob er eine
Brigade kommandiere. Aber dieser ist harmlos und brav und hebt nur dann und
wann den quadratischen Soldatenschädel, um nach dem Rechten zu sehen.
Draußen geht ein Seminarist
vorbei. Man hat ihm lateinische Gebete beigebracht, die er auswendig hersagen
kann, ohne sie zu verstehen, er trägt sein Gebetbuch unter dem Arm.
Heute hat er die Konkurrenz
nicht mehr zu befürchten, die seinen Vorfahren so viel Mühe gemacht hat: den
Jansenismus, der hier geboren ist. Die Pyrenäen haben religiöse Phänomene in
Fülle hervorgebracht: der Spanier Loyola hat auf der spanischen Seite sein erstes
Haus gebaut, und man weiß, was daraus hervorgegangen ist. Und ehemals waren die
Basken in Religionssachen ein recht kriegerisches Volk: die Abgesandten des
Bischofs von Oloron, eines der ersten Calvinisten der Gegend, wurden in Mauleon
zunächst mit Eseln umritten, und als der Alte selbst kam, um den Schimpf zu
rächen, schlugen sie ihn mit einer Hacke tot.
Das mit dem erschlagenen
Bischof aus Oloron ist kein Einzelfall. Die mittelalterlichen Stadt- und
Landfehden waren hier, wie überall, von großer Grausamkeit. Da haben sie einmal
an die sechs oder sieben Basken, die aufgemuckt hatten, an die Adourbrücke in
Bayonne gebunden, bei Ebbe, und die haben warten dürfen, bis die Flut zu ihnen
hochstieg. Es waren Vater und Sohn darunter, und das ganze Volk stand am Ufer
und wartete auf das herrliche Schauspiel. Den Sohn faßte es zuerst; er gurgelte
schon, da beschimpfte der Vater die Henker. Sie warfen ihm das linke Auge mit
einem Stein aus, aber die Flut kühlte das rasch sowie das übrige.
Da am Brunnen haben zwei Männer
einen großen Disput. Ob das Baskische schön ist, kann ich nicht beurteilen. Es
klingt nicht schön und nicht häßlich. Seine Liebhaber und besonders die
baskischen Schriftsteller selbst überschätzen natürlich die ihm innewohnende
Poesie, die wie jede Sprachpoesie subjektiv empfunden wird. Einer erzählt, wie
viele Gedichte sich mit der Jagd auf Holztauben beschäftigen. Holztaube heißt
auf baskisch: usua. Der Baske setzt hinzu: «Dieses Wort ‹Holztaube› besagt
wenig. Um die ganze Poesie von ‹usua› auszukosten, muß man...» Gar nichts natürlich.
Diese Lokalverzücktheit, ehrlich und begreiflich, erinnert mich immer an die
Vortragenden in den deutschen Konzertsälen, die fremde Volkslieder Vorsingen
und vorher, sich leicht niedlich machend, den Inhalt auf deutsch erzählen. «Das
Mädchen kommt morgens an den Brunnen und sagt: O Brunnen! Wie läufst du doch so
schön, du guter Brunnen! Wo aber ist mein Geliebter hingelaufen? Weißt du das
vielleicht? Wenn du ihn triffst, du guter Brunnen, dann grüß ihn doch von mir!»
Des freut sich das Parkett — und man ist ganz verwundert, wenn nachher ein
reizendes kleines Lied aufsteigt, bei dem es einem vollständig gleichgültig
ist, ob der Brunnen plätschert oder nicht, und dessen Rhythmus und Farbe schon
das ihrige tun. Volkspoesie kann man nicht übertragen. Man kann sie bestenfalls
nachschaffen.
Nicht nur an der Sprache merkt
man, daß man in einem besonderen Winkel Frankreichs ist. «Bei Gott!» will die
Hotelfrau zu mir sagen, und um das noch mehr zu bekräftigen, hebt sie die
rechte Faust über den Scheitel, der kurze Unterarm liegt nahe am Kopf. Ich
frage später nach dieser wilden Tomahawk-Geste. Es sind die baskischen
Schwurfinger: «Bei Gott...!» Und nun weiß ich, daß sie gelogen hat.
Sie gelten für nicht sehr
zuverlässig, die Basken, und vielleicht trügt der erste angenehme Eindruck.
«Die Leute in Bayonne», sagte mir einer in, aber nicht aus Bayonne, «sind
liebenswürdig, freundlich und falsch wie Galgenholz.» Nun, das sind Urteile...
Auch andre sind nicht gut auf sie zu sprechen und
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