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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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schneller, schneller... Die Spanierinnen haben
ihren Spezialbeifall. Die jungen Herren ziehen einen sauren Mund: das ist eine
unehrliche Konkurrenz. Mit Röcken... Und das Ganze von vorn.
    Nach jeder Pelote wird getanzt
— das ist so. Und ebenso traditionell sind die beiden Männer, die das Volk
dabei in allen Pausen ansingen: die Improvisatoren. Sie sind immer zu zweien:
und es ist stets eine Art Sängerkrieg, den sie miteinander haben. Besingt der
eine ‹Die Freuden des Junggesellen», so der andre ‹Die Freuden des Ehemannes»;
‹Automobil und Ochsenkarren» — ‹Meer und Land» — ‹Wasser und Wein» — ‹Sandale
und Holzschuh», das sind herkömmliche Themen. Herkömmlich auch, daß man sie
lange bitten muß, anzufangen — sie zieren sich, lange. Dann aber hören sie nie
wieder auf. Sie begrüßen an diesem Nachmittag erst alle Erschienenen, werden
heftig belacht und beklatscht und treten nach jedem Tanz aufs neue in die
Mitte. Sie heben beim Vortrag die Arme, ihr Gesang ist stets ein Rezitativ, und
jede Strophe besteht aus vier langen Zeilen mit dem gleichen Endreim. Darauf
sind sie besonders stolz — vier Reime! Die spanischen Basken nehmen die Zeile
länger, bis zu zwanzig Silben — welch ein Atem! Als sie fertig sind, will ich
mich mit den beiden unterhalten. Mit dem einen wird das nichts werden — er
versteht nur baskisch. Der andre erklärt mir, was sie gesungen haben. Er sagt,
es gehöre viel Routine und Schlagfertigkeit dazu, und Nachfolger gebe es wenig.
Rostand habe ihn noch gehört und sei voller Bewunderung für seine
Reimfertigkeit gewesen. «Ist das nun ein scharfer, witzgespickter Streit, den
ihr da habt?» frage ich. «Il faut toujours respecter l’autre», sagt er. Und
dann gehen alle Abendbrot essen.
    Sie essen nicht schlecht. Sie
trinken einen kräftigen, etwas säuerlichen Wein; auch den Wein von Jurançon,
der aus der Gegend von Pau kommt, findet man überall im Lande, er ist gut und
mild. Auf dem Markt und unterwegs trinken die Bauern und Hirten aus
Lederflaschen, kleinen Weinsäcken, die den Wein schön frisch halten.
    Abends ist Ball auf dem
Marktplatz. Er ist festlich mit Lampions beleuchtet, und bald rutscht und
schleift alles, besonders unter einer dunklen Baumreihe. Wo ist die Grazie der
Kreistänzer geblieben? Dieselben jungen Leute, die eben noch so hübsch ihre
Landestänze getanzt haben, anspruchslos, ohne die leiseste Pose, tanzen jetzt
Foxtrott und Twostep, und auf einmal ist alles vorbei. Das sind gar keine
jungen Bauern mehr — das sind Arbeiter aus der Vorstadt, die verrutschte Kopie
nimmt ihnen alles und gibt ihnen nichts. Ich habe einmal im Holsteinischen
Bauemburschen und Bauernmädchen moderne Tänze tanzen sehen — ihre schweren Füße
bumsten auf den Boden, und ihre Grazie glich der junger Kälber. Es war zum
Gotterbarmen. Etwas Ähnliches geht auch hier vor. Denn das, was da herankommt,
ist unentrinnbar. Die weinerlichsten Schilderer der baskischen Eigenart müssen
zugeben, in jedem Buch dreimal: es verschwindet! Alles das verschwindet.
Sprache, Eigenart, Sitten und Gebräuche, Aberglaube — denn man mache uns doch
ja nicht weis, daß sich dergleichen bei einer so umwälzenden Umgestaltung der
Erde erhalten kann! Ihr fahrt in der Stadt Untergrundbahn, und der tumbe Bauer
soll ewig derselbe bleiben, ewig derselbe. Er wird euch was husten.
    Immerhin vollzieht sich hier
die Umwandlung leise, leise. Aber bei aller Erhaltung der Eigenart: als die
Reblaus die Weinberge verwüstete, und die Amerikaner eine neue Pflanze auf den
Markt brachten, da waren doch die konservativsten Basken dabei, die neue
einzuführen. Chicago siegt — ihr könnt machen, was ihr wollt. Gute Nacht,
Marktplatz.
    Am nächsten Tag wimmelt er von
Vieh. Welch eine Qual für das Vieh, so ein Markttag! Nein, ich bin nicht
wehleidig, und sie werden ja auch geschlachtet — aber es ist doch ein Stück
Arbeit, mit der sie sich den Tod erkaufen. Die Schweine während eines
stundenlangen Marschs hinten mit einem Strick an die Wagen gebunden und
furchtbaren Spektakel vollführend, immer mit jener Komik, die ein Schwein für
unsere Augen auch im Sterben nicht verläßt; in der Sonne liegt eine Reihe
Enten, sie klappen die Schnäbel auf und zu und gluckern nur noch leise, vor
Durst, eine Kuh beleckt ihr Kälbchen, dem sie das Maul mit Stroh umwickelt
haben, damit es jetzt nicht trinke. Die schreckhaften Schafe werden von den
Käufern befühlt. Welch scharfe, feine Bauemköpfe! Welch gute

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