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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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Punkt auffangen und zurückschleudem. Die
Anstrengung für den ganzen Körper ist sehr groß: das Spiel ist Tanz, Sport,
Athletik und Kopfarbeit in einem. Eine Pelote —? Hin.
    Am Sonntagvormittag steckten
alle pelotari in der Kirche. Ein bekannter Spieler war angekündigt, Léon
Dougaïtz; eine begehrockte und uniformierte Sportkommission war auch anwesend,
mit einem richtigen General. (Es kann aber auch ein Feldwebel gewesen sein —
ich kenne mich in diesem Klan nicht so aus.) Die kleine Kirche war gedrückt
voll, unten die Frauen, oben auf den Galerien brummten und sangen die Männer.
Ein junger Geistlicher betritt die Kanzel. Er spricht über...? Johannes?
Matthäus? Markus? Er spricht über die Pelote von heute nachmittag. Sein
leichter Versuch, diesen Sport mit Mystik zu umkleiden, mißlingt: es ist
einfach ein ziemlich geschickt gesungenes Preislied auf ‹uns Basken›. Eine
Masse kann man gar nicht deutlich genug loben: aber da ist schon jener kleine
fatale Funke von zu genauer Kenntnis über sich selbst. «Wenn ein Fremder heute
in die Kirche käme, so würde ich ihm sagen: Sieh dir diese Ballspieler an, den
Kern unseres Volkstums...» Schon faul. Das sicherste Zeichen dafür, daß mit
einem Volksgebrauch etwas nicht in Ordnung ist, sind Lehrer- und
Pfarrervereinigungen zu seiner Konservierung. Niemand tut etwas für den
Gebrauch von Tinte, und einen Verein zur Erhaltung des weU chen Umlegekragens
gibt es nicht. Nur Sachen, die sich nicht von selbst verstehen, werden so
hallend betont. Der Prediger lobt also seine Ballspieler — und das ist durchaus
keine Entweihung des Gottesdienstes: gibt es doch viele baskische Äbte und
Vikare, die selber mitspielen. Mit hochgerafften Soutanen springen sie umher
und sind nicht einmal die schlechtesten beim Spiel. Wie ja überhaupt der
katholische Geistliche dem Volk viel näher steht als der fast stets etwas
säuerlich reservierte protestantische Pfarrer. Katholische Kirchen sind immer
geöffnet, protestantische nur sonntags. Die Geistlichen auch. Und so predigt
eben dieser über das Ballspiel. Wohlwollend hält er die Hände darüber hin; denn
was die Kirche nicht verhindern kann, das pflegt sie wenigstens zu segnen.
    Chorgesang, Schluß, alles
strömt auf die Gasse.
    Mittags gehe ich ein bißchen
durch die Stadt. Saint-Jean-Pied-de-Port liegt hügelig-befestigt; was außerhalb
der alten Fortifikation steht, ist hübsch, aber belanglos. Eine schnurgerade,
grüne Allee führt auf die Berge zu. Aus dem Hause des Notars perlt Mozart. Das
Wetter ist schön und still.
    Das ist der Friedhof — da
stehen die eigenartig geformten Grabsteine: auf niedrigem Fuß eine runde dicke
Scheibe. Schrift und Verzierung wirken in ihrer Verwitterung wie Runen. Auch
das Hakenkreuz kann man in baskischen Inschriften finden — gewiß ein schönes
Zeichen für seine Popularität. (Wohl selten ist ein geschichtliches Symbol
schmutziger mißbraucht worden.) Und welch merkwürdige Namen auf den Steinen
stehen! Maria Ladeveze, Landerreiche Gabriel, Kurutze Hunen - -
    Hier in der engen krummen
Straße, die so bergan steigt, liegt ein Haus, in dessen Keller war einst das
Gefängnis, in das die Bischöfe ihre besten Feinde stecken ließen. Ein hoher,
fast dunkler Raum — ein paar Halseisen hängen noch an den Wänden. Ein Kabuff
ist abgeteilt — das ist völlig schwarz und ohne jede Luftzufuhr, mit einer
dicken Holztür. Da saßen die zum Tode Verurteilten, lange Wochen, und warteten
auf ihre Hinrichtung.
    Aber es ist unmöglich, irgendwo
auf der Welt ein Gefängnis zu sehen, ohne daran zu denken, was deutsche Richter
mit politischen Kämpfern treiben und treiben lassen; wie bei uns gefoltert
wird, körperlich und unkörperlich; wie Angeklagte in Deutschland vor Gericht
behandelt werden.
    Oben auf dem Hügel liegt das
Fort. Das ist ein alter Kasten mit Zugbrücke und stillem, weißem Hof, in dem
das Gras wächst. Nur ein alter Arbeiter wohnt noch da. Aber es sieht alles so
reinlich aus und nur wenig zerfallen — und man liest Inschriften an allen Türen
und Plakate in den Stuben... was ist das? Hier in der Zitadelle staken im
Kriege ungefähr fünfhundert deutsche Kriegsgefangene, aber weil Fluchtversuche
vorkamen, fünf, sechs, zur nahen spanischen Grenze: so wurden sie bald
wegtransportiert. Nach ihnen zog ein französisches Strafbataillon ein, ‹des
fortes têtes›, besonders widerspenstige Leute, die von einem Loch ins andere
flogen. Ich sehe ihre engen Steinzellen, die sie sich selbst

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