Ein Pyrenäenbuch
weil ja
heute keinem vernünftigen Menschen die Grenze noch eine solche
herzklopfenverursachende Ehrfurcht einflößt. Wir wissen doch. Wir wissen doch,
wer da für wen wacht. Das Getreide soll nicht daher kommen, wo es billiger ist,
die Klaviere nicht daher, wo man besser versteht, sie zu machen — künstlich
hochgehalten werden Industrie, Kapital und Erwerbsmöglichkeit. Ein
wirtschaftlicher Vorgang. Streicht eure lächerlichen Grenzpfähle doch nicht so
feierlich an! Setzt drauf: Müllers Fettvaseline ist die beste! Das käme der
Wahrheit schon wesentlich näher.
Und nun muß ich ja wohl
abfahren.
Fort von der kleinen Bergstadt
im Grünen, hinaus auf die Landstraßen, wo mir die Ochsenkarren begegnen werden,
mit den sorgfältig in bunte Leinentücher eingewickelten Tieren, die schweren
Köpfe durch ein Netz gegen die Fliegen verhängt. Ich habe nie gesehen, daß sie
geschlagen werden. Nur die Esel haben hier viel Leid, Kummer und Stockprügel
auszustehen. Die alten Karren knarren in den Radachsen, das quietscht und
kreischt — wie ein Baske einmal erklärt hat: «Damit sich die Ochsen unterwegs
nicht so langweilen.» Gemüt ist eine schöne Sache. Also fort. Aber wie —?
Die gesamten Pyrenäen werden
von einer großen Automobilstraße durchzogen, die das weiter im Norden liegende
Eisenbahnnetz aufs glücklichste ergänzt. Denn eine Automobillinie ist biegsamer
als die Eisenbahn, kann aussetzen, wenn kein Bedarf vorliegt, ist leichter zu
amortisieren... Merkwürdig, wie diese Zeit überall, hier und in Schottland und
in der Schweiz, die alte Postkutschentradition wieder aufnimmt. Der Herr
Schwager hat aber ölgeschwärzte Finger, sein Posthorn hupt, und auf dem offnen
Wagen sitzen die Engländer und, was noch schlimmer ist, ihre Frauen, und lassen
an ihren kalten Fischaugen die ihnen zustehenden Pyrenäen vorübergleiten. Es
gibt da so eine Art Rundreisebillett, von Bayonne bis Perpignan — zweimal darf
man unterbrechen —, sonst aber werden sie mitleidslos durch Busch, Feld, Wald,
Klamm und Tag gejagt, an Abgründen vorüber, über Brücken und neben den
schäumenden Bächen her, ‹gaves› genannt, immer weiter, immer weiter — bis alles
aussteigen muß. Das ist den Engländern recht. Sie nehmen es auf sich, sie
müssen auch das gesehen haben, und wenn die Engländer nun gar Amerikaner sind,
dann kennt ihr landschaftlicher Stumpfsinn keine Grenzen. Ich habe neben
welchen gesessen, denen hätte man nur den Kopf immerzu auf die Felsplatten
schlagen mögen: «Hier! Sieh dir das an, du Trottel! Damit du wenigstens etwas
von deinem Geld hast!» Er aber saß da und sah geradeaus, denn er hatte für
geradeaus bezahlt. Menschenexport ist selten gut.
Mit so einem Postauto möchte
ich wohl fahren. Sie nehmen wenig Gepäck mit, und man muß sich das einrichten,
auch sind sie immer besetzt. Aber ‹on s’arrange›. Ich arrangiere mich wirklich
und klettre brav und bieder zu den Leuten mit den großen Unterkiefern. Sie
sitzen stumm da, sprechen in drei Fahrstunden vier Sätze; sie sind kalt
ergriffen von der Landschaft, ich von ihnen — ich sitze vom beim Chauffeur, das
ist mein Lieblingsplatz. Man hat immer warme Füße, es riecht so schön nach
Benzin und Natur, der Chauffeur erzählt Schwänke aus seinem Leben, und neben
ihm ist ein kleiner Spiegel. In dem sehe ich hinten meine Amerikaner. Beinah
vergesse ich die ganzen Pyrenäen — wenns so weitergeht, werde ich einen Führer
schreiben: ‹Anleitung zur Zucht von gut legenden Amerikanern›. Ich kann
mich gar nicht losreißen — ein grüner Schleier weht im Winde, die
ausdruckslosen Fahrstuhlgesichter schwanken ein wenig in den Kurven...
herrlich. Wer jetzt nach hinten schießen könnte! Aber es ist Friede, wer wird
denn schießen... Und so fahren wir durch das Land der Basken.
Lieber Jakopp!
Haben wir dafür Schulter an
Schulter so manches rumänische Nachtfest überstanden, daß du mir nie mehr
schreibst —? Dafür mit Karlchen und einem richtigen Hund einen
Nachmittagsschlaf zusammen abgezogen, so daß die Ordonnanzen, die hereinkamen,
sich wunderten, einen dreiköpfigen Polizeikommissar im Bett liegen zu sehen?
dafür Zuika, oder wie man diesen Pflaumenschnaps schreibt, getrunken, den Alten
betrogen, Dienstreisen nach Sinaia geschunden, den guten, alten Mackensen
überwacht, als er Craiova passierte — ich kam um eine Kleinigkeit zu spät und
sah den ritterlichen Mann gerade abfahren — alles, damit du nie schreibst? Ich
aber
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