Ein Pyrenäenbuch
Müller Soubirous brauchte sich nicht zu beeilen: es war kein Holz
im Hause. Die Kinder sollten Holz holen. Bernadette ging in die Kälte hinaus,
ihre jüngere Schwester Toinette und eine Freundin, Jeanne Abadie, begleiteten
sie. Die drei stiegen an den Abhängen herum, überquerten den Bach, der jetzt,
abgeleitet, am Eisenbahndamm entlangfließt, und kamen schließlich in die
Grotte. Winterstille und Geriesel von trocknem Laub. Da hörte Bernadette ein
dumpfes Geräusch. Sie hob den Kopf...
«Ich konnte nichts mehr sagen,
und ich wußte gar nicht, was ich denken sollte, denn als ich den Kopf zur
Grotte wendete, sah ich an der Felsöffnung einen Busch, aber nur einen, hin-
und herschwanken, wie wenn großer Wind wäre. Beinah zu gleicher Zeit kam innen
aus der Grotte eine goldene Wolke und danach eine junge und schöne Dame, so
schön, wie ich niemals eine gesehen hatte. Sie stellte sich an der Öffnung auf,
oberhalb des Buschs. Sie sah mich an, lächelte und machte mir ein Zeichen,
näher zu kommen, grade wie wenn sie meine Mutter wäre.»
Die beiden kleinen
Begleiterinnen hatten nichts gesehen, nur Bernadette allein. Erst war es in
ihren Berichten ‹etwas Weißes›, dann eine Dame, dann eine wunderschöne Dame,
mit weißem Gewand, blauem Gürtel und gelben Rosen zu Füßen — aber die sprach
zunächst nicht, sie lächelte, Bernadette ging immer wieder in die Grotte. Die
Mutter wollte das nicht. Die Grotte stand in keinem guten Ruf, Liebespaare
pflegten sich dort zu verstecken, und wenn man wieder einmal am Morgen leere
Flaschen und sonstige schöne Sachen dort gefunden hatte, stießen sich die
Bauern in die Rippen und grinsten: «Heute nacht haben sie wieder Dummheiten in
der Grotte gemacht!» Aber Bernadette ging wieder und wieder hin. ‹Sie› erschien
ihr achtzehnmal.
Beim drittenmal sprach die
Dame. Sie bat die Kleine, während vierzehn Tagen in die Grotte zu kommen.
Bernadette versprach das. Und dann: «Trink aus der Quelle und wasch dich in dem
Wasser!» Es war aber keine Quelle da, das Kind kratzte die Erde auf, da lief
ein dünnes Rinnsal über die Erde. Die Wunderquelle war geboren. Und später:
«Sage den Priestern: sie sollen hier eine Kapelle bauen und in Prozessionen hierherkommen!»
Und nun auf inständige Fragen, endlich, endlich: «Ich bin die conceptio
immaculata.» Die Dame sprach das bäurische Platt. «Qué soy ér’ Immaculada
Councepsiou.» Und da war Bernadette schon nicht mehr allein.
Die Sache war durchgesichert,
die Polizei mischte sich ein, mißtrauisch, liberal, halb aufgeklärt und
durchaus dagegen. Der Priester des Orts war vorsichtig, skeptisch,
außerordentlich klug. «Ein Wunder!» verlangte er als Bekräftigung, «ein
Wunder!» Und vor der Namensgebung: «Sage deiner Dame, daß ich sie nicht kenne —
sie solle sich vorstellen.» Sie stellte sich vor, und nach jeder Halluzination
wurde das Publikum größer, der Glaube stärker, die Legendenbildung wilder.
Bei alledem hat man sich die
kleine Bernadette als ein bescheidenes, artiges, schwächliches Kind zu denken,
das kein Wesens aus der Sache machte. Sie hatte einen schweren Stand: der
Geistliche wollte nicht heran, die Polizei drohte sie einzusperren, wenn dieser
Unfug nicht aufhöre, und das Dorf verlangte seine Wunder. Ein alter Abbä, der
als kleiner Junge sie noch gekannt hat, zeigte mir in Lourdes eine Fotografie,
die angeblich an der Grotte während der Ekstase aufgenommen sein soll — ein
offenbar gestelltes Bild, ohne jeden visionären Zug in dem kleinen
Bauemgesicht. Das arme Ding, mit seinen Läusen unter dem Kopftuch, bekam von
allen Seiten zugesetzt, es prasselte nur so auf sie herunter: Klagen, Bitten,
Beschwörungen, Segenswünsche... Schon wollten einige durch Handauflegen von ihr
geheilt werden.
Ein Zug, ein einziger in diesen
zahllosen Berichten, ist rührend, er zeigt, wie tief sich die Halluzination in
das Kind eingefressen hat und beweist ihre wirkliche Herzensunschuld. Sie hatte
dem Steuereinnehmer Estrade und seiner Schwester ihre Geschichte erzählt.
«Also, die Dame bat mich, vierzehn Tage lang in die Grotte zu kommen.» — «Sag
einmal genau, wie sie gesprochen hat!» sagte der Steuereinnehmer. «Die Dame
sagte: Wollen Sie so gut sein...» Und hier unterbrach sich Bernadette, senkte
den Kopf und flüsterte: «Die Madonna hat Sie zu mir gesagt...»
Und nun gings los.
Die Presse nahm sich der Affäre
an, Artikel für und wider setzten ein ohne Ende, und die Polizei ließ die
Grotte mit
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