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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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Brettern versperren. Die Gegend stand auf dem Kopf.
    «Ein Wunder! Ein echtes Wunder!
Hat sie nicht von der conceptio immaculata gesprochen? Aber das Kind hat das
Wort nie gehört, kann es gar nicht gehört haben!» — Die Bernadette-Literatur
legt auf diesen Punkt den allergrößten Wert. Man könne nichts als Erinnerungen
produzieren, während man halluziniere, sagen sie, was falsch ist — dieses
schwierige Wort und der noch kompliziertere Begriff seien dem Kinde unbekannt
gewesen. Nein, das waren sie nicht. Man wird nun verstehen, warum die
Bernadette-Traktätchen so ängstlich darüber schweigen, daß das Dogma schon drei
Jahre, ex cathedra verkündet, vorgelegen hat. Es war also nicht nur möglich,
sondern höchst wahrscheinlich, daß das Kind diesen Ausdruck von den Priestern
aufgeschnappt hatte, ohne zu begreifen. Und man weiß, wie Latein auf die wirkt,
die es nicht verstehen.
    Die Grotte gesperrt? Streik der
Bauarbeiter, Rumor unter den Bauern, die Grotte mußte wieder geöffnet werden.
Bis zum Kaiser drang der Lärm, denn nun war aus den Halluzinationen eines
kranken Kindes eine politische Affäre geworden. Kulturkampf? Napoleon III. tat
das, was er immer getan hatte: er zögerte. Aber die Kaiserin lag ihm in den
Ohren, es war das wohl auch kein casus belli, die innere Politik erheischte
Frieden... er gab nach. Der Polizeikommissar wurde versetzt, der Präfekt von
Tarbes wurde versetzt — das Land hatte sein Wunder. Die ersten Heilungen wurden
ausgerufen.
    Denn die Quelle war da, das war
kein Zweifel. Jetzt war es eine große Quelle geworden: sie gab zwölfhundert
Hektoliter am Tage her. Nun glauben sogar die orthodoxesten Katholiken nicht,
daß Bernadette dieses Wasser aus dem Nichts gerufen habe. Der Abbe Richard
hielt schon im Jahre 1879 dafür, daß nicht das Kind die Quelle erschaffen habe,
sondern Gott — die Kleine habe nur durch das Wunder eine bestehende Quelle
entdeckt. Leute, die mit einer Wünschelrute umgehen, wissen, wie manche
Personen auf Wasser, Metalle und Steinarten reagieren.
    Herr Fabisch aus Lyon
fabrizierte eine Statue der Jungfrau, eben jene, die heute noch in der Grotte
steht. Er ließ sich von Bernadette die Erscheinung beschreiben, war tiefgerührt
von der weichen Frömmigkeit der Kleinen und lieferte das Äußerste an
Talentlosigkeit. Die Statue hat siebentausend Francs gekostet, genau die
gleiche Summe zuviel. Als man Bernadette das Werk zeigte, lief sie zunächst fort,
ein beachtliches und gutes Zeichen von Kunstverstand. Dann wurde sie beruhigt,
noch einmal an die Figur herangeführt, die aussieht, wie wenn sie aus Seife
wäre, und man fragte sie: «Ist das deine Jungfrau, so, wie du sie gesehen
hast?» — Und sie: «Keine Spur.» Aber Fabisch kassierte ein, und die Priester
aus Lourdes stellten auf.
    Bernadette hatte kein Glück mit
den Statuen. In der Ordenskapelle der Schwestern von Nevers zu Lourdes steht
eine, von der hat sie gesagt: «C’est la moins l’aide de toutes!»
    Diese Madonna steht da, wo die
Kleine bei den Schwestern im Klostergarten herumgehüpft ist, und die Oberin
zeigte mir Kloster, Säulenhalle, Garten und eben diese Kapelle. Wenn die kluge
und energisch aussehende Frau von Bernadette und ihren Wundertaten berichtete,
glaubte man, eine Walze rolle ab. Sie sprach wie ein Museumserklärer. Sie hatte
das wohl schon so oft erzählt... Diesen eingelernten Eindruck machten übrigens
viele Geschichten, die ich in Lourdes zu hören bekam.
    Bernadette blieb bei ihrer
Familie, und als sie es dort nicht mehr ertragen konnte vor Besuchern, Fragen,
Verhören, Freunden und Feinden, die sie alle, alle sehen wollten, als sie immer
und immer wieder ihren Bericht erzählen mußte, brachte man sie ins Hospital.
Das hatte noch einen andern guten Grund: das Mädchen kränkelte. Im Krankenhaus
wurde sie zunächst gepflegt, die Besuche wurden ferngehalten, später
verrichtete sie Arbeiten in der Küche und machte sich auch sonst nützlich.
    Die Kirche rechnet mit
Jahrhunderten und in eiligen Fällen mit Jahren. Erst vier Jahre nach diesen
Erscheinungen, am 18. Januar 1862, erschien der große Hirtenbrief des Bischofs
von Tarbea, des Monseigneur Bertrand-Sévère. «Ja», sagte der Brief.
    Kollekten, Gläubige,
Kirchenbauten, Zusammenlauf aus aller Welt. Die Pilgerzüge setzen in voller
Stärke ein. Im Jahre 1867 waren es schon 28 000 Menschen, die kamen. Das Wunder
war im Gang.
    Das ging nicht ohne die
bösesten Zänkereien ab. Der Curé von Lourdes bekam den

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