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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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Monseigneur-Titel, aber
das tröstete ihn wenig, er fühlte sich zurückgesetzt; Prozesse prasselten, die
Orden bekriegten sich bis aufs Messer, warfen einander Habsucht, Neid, Mißgunst
und übergroße Geschäftstüchtigkeit vor, und auch die Einwohner wüteten umher.
Die Kirche hatte in kluger Voraussicht die Grundstücke gekauft, die der Grotte
gegenüberlagen, um alle neugierige Nachbarschaft zu vermeiden. Welches Geschäft
war den Lourdesen da aus der Nase gegangen! Was wäre das gewesen! ‹Hotelzimmer
mit direkter Aussicht auf die Wundergrotte und alle Zeremonien! Abends Dancingb
Ein Jammer. Es roch nicht gut zum Himmel, was da aufstieg.
    Und dann war da diese kleine
Bernadette, die der Anstrom der Neugierigen immer noch suchte. Eine unangenehme
Konkurrenz, dieses Werkzeug Gottes... Sie durfte fernerhin nicht mehr in Lourdes
leben, vor allem: unter gar keinen Umständen durfte sie dort begraben liegen.
Nur keine Ablenkung! Sie lebte auch nicht mehr da, sie starb nicht da. Man hat
sie nach Nevers gebracht, einer kleinen Stadt südöstlich von Orléans, in das
Mutterkloster des Ordens des Soeurs de la Charité de Nevers, und dort erlosch
sie im Alter von fünfunddreißig Jahren. Sie hat keine Wunder mehr angezeigt und
auch keines tun wollen, sie war eine schwächliche Person, die in Ruhe leben und
sterben wollte. Sie ist sehr krank gewesen.
    Jetzt, zu ihrer Seligsprechung
im vorigen Jahr, haben sie sie exhumiert: der Körper war gut erhalten, ihr
linkes Auge, das der Erscheinung zugewendet war, soll offen gewesen sein, ihr
Grab so nach Blumen geduftet haben, daß, wie in Lourdes erzählt wird, Briefe,
die dort gelegen hatten, dufteten... Man hat sie in einem Glassarg ausgestellt,
es kommen viele Gläubige. Ich habe eine Reliquie geschenkt bekommen, ein
Stückchen von ihrem Totengewand.
    Eine Heilige —? Noch nicht.
    In Lourdes wird ein alter Mann
aufbewahrt, es ist ihr Bruder, der einen Andenkenladen gehabt und sich
vorzeitig vom Geschäft zurückgezogen hat. Er empfängt viele Besuche, will aber
keine haben — er ist ein stiller und ruhiger, etwas bäurischer Mensch. Nein,
ich habe sein Ruhebedürfnis geehrt und ihn in Frieden gelassen. Er weiß auch
nicht viel von damals zu vermelden — er war sieben Jahre alt, als Bernadette
ihre Erscheinungen hatte. Aber wenn er einmal gestorben sein wird und wenn alle
persönlichen Erinnerungen verflogen sind, wenn die Gestalt der kleinen
Bernadette weit, weit hinten im grauen Nebel der Geschichte verschwindet —:
dann wird sie heilig gesprochen werden. Die Kirche ist so klug___
    Denn über Bernadette Soubirous,
die Müllerstochter, kann man heute noch kleine persönliche Bemerkungen machen, sie
ist zu nah —. Jeanne d’Arc aber ist heilig und entlockt selbst einem so
wilden Spötter wie Bernard Shaw — außen Stacheldraht, innen Gummibonbon — ein
schönes Pathos.
     
    Das ist die Geschichte der
seligen Bernadette, zu der Hunderttausende in Lourdes beten. Tagaus, tagein...
Aber immer andere. Denn das ist das Gefährliche an der Sache: tagaus, tagein
darf man dergleichen nicht sehen. Der Mechanismus wird sichtbar.
    Jede Pèlerinage ist höchstens
vier, fünf Tage in Lourdes, und das ist sehr gut eingerichtet. Längerer
Aufenthalt geht auf Kosten der Intensität. Man sieht zu viel.
    Man sieht:
    Die Ausstattung in den Kirchen.
«Aber das übersteigt die kühnsten Träume. Mit Kunst, selbst mit Kunst in ihrer niedrigsten
Entartung, hat das hier überhaupt nichts zu tun. Das ist nicht einmal
schlecht...» Nein, es ist grauslich. «Das ist alles so häßlich! Wenn es
wenigstens naiv wäre — aber leider: grade das ist es nicht.» Das sagt ein
Freigeist? Ein frecher Aufklärichtsmann? Ein Kerl, der vom Katholischen nichts
versteht —? Ach, es ist J.-K. Huysmans, dessen ‹À rebours› Oscar Wilde
zum Dorian Gray angeregt hat; der in den Schoß der Kirche Zurückgekehrte, der
reuige Sünder. Und der muß es ja wissen. Er erklärt uns auch den Jammer dieser
Geschmacklosigkeiten.
    «Unzweifelhaft: solche
Attentate können nur den rachsüchtigen Possen des Dämons zugeschrieben werden.
Es ist das seine Rache gegen die, die er verabscheut...» Sein Buch ‹Les
Foules de Lourdes›, eines der interessantesten Dokumente über diese Stadt,
ist das Zeichen eines beklagenswerten Geisteszustandes, mit vielen lichten
Momenten. Er beobachtet außerordentlich scharf, aber alle seine
Schlußfolgerungen sind falsch. Der Teufel —? Hier irrt der Großvater Dorian Grays;
es ist nicht

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