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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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Wort
‹Hosianna› in der französischen Version fremd, dann bleibt es haften, sie
sprechen es mit vielen ‹n› in der Mitte, wiegen sich im Klang. Und nun kommen
schon die ersten Fahnenträger, sie stellen sich an der Grotte auf und singen,
die Kranken werden einzeln abgefahren, man stellt sie auf den großen Platz in
die erste Reihe. Da liegen sie auf Bahren, sitzen auf ihren Stühlen. Hinter
ihnen die Massen.
    Halb vier Uhr. Eine riesige
Prozession formt sich, die Spitze steht auf der langen Esplanade, alle haben
die Basilika im Rücken! — denn sie werden erst den Rasenplatz umschreiten, mit
dem Heiligen Sakrament in der Mitte. Oben, die Plattform der Kirche, ist
schwarz vor Menschen, die beiden Rampenarme sind frei und leer. Die Träger
sperren sie ab. Da kommt die Prozession.
    Nach der Augenschätzung mögen
es vielleicht zehntausend Menschen sein, die Nachprüfung ergibt annähernd die
Richtigkeit. Sie schreiten langsam, Gesang schallt, man kann noch nicht hören,
was sie singen.
    In der Mitte des Platzes knien
jetzt Priester, sie beten, und alle beten nach.
    «Bienheureuse
Bernadette, priez pour nous!»
    Alle:
    «Bienheureuse
Bernadette, priez pour nous!»
    Der Platz braust. Spricht der
Priester da vorn auf dem Platz lateinisch, so fallen alle ein, und die langen
Sätze schnurren unter den Bäumen. Beginnt er zu singen, so singen sie mit.
    «Seigneur, nous vous adorons!»
    Das ist ein Franzose. Aber da
kniet nun ein paar Meter weiter von ihm, schräg, ein Priester der Pilger, und
das ist ein Italiener. Und als der seine Stimme erhebt, da verschwindet alles
andere neben ihm. Welch ein Tenor!
    «Signore—!»
    Ah —! Durch Mark und Bein geht
diese Stimme, sie peitscht die Leute auf, sie singt ganz allein unter den
Tausenden. Jetzt ist die Sache in der richtigen Kehle.
    Da naht die Prozession.
    Von weitem sieht man die langen
Arme schwarzer Priester in der Luft herumfuchteln: sie dirigieren den Gesang,
rühren in den Massen. Brennt, Flammen—! Dann kommen sie.
    Erst die Marienkinder, junge
Mädchen in weißen Schleiern, sie singen mit hellen Stimmen. Man dirigiert sie
auf die Freitreppe, da bleiben sie eng gedrängt stehen, und ihre weißen
Schleier zieren die geschwungenen Balustraden. Dann die Männer, sie tragen
Kerzen in den Händen und singen laut. Das Sakrament. Alles fällt auf die Knie,
die Kranken neigen die Köpfe. Der Erzbischof zieht unter dem Baldachin dahin,
den ein Mann in Reitstiefeln trägt, davor die Weihrauchkessel, die
ununterbrochen geschwungen werden.
    Nun macht das Sakrament die
Runde, und es ist ganz still auf dem großen Platz. Nur zwei Priesterstimmen
sprechen ein Gebet. Der goldne Stab wandelt langsam an den Kranken vorüber,
zeigt sich, neigt sich... Nasse Augen, wohin ich sehe. Jetzt steht der Bischof
unter seiner Geistlichkeit, grade vor dem Haupteingang der Basilika, da fallen
die Geistlichen auf die Knie, er hebt die Hand, das Glöckchen klingt... totenstill
ists unter den Bäumen. Und nun kommt der eindrucksvollste Augenblick des
Nachmittags.
    Der Gottesdienst hat geendet.
Was nun —?
    Jetzt brodeln die Leute
aufgeregt durcheinander, dies ist der große Moment... Hat Maria geholfen —? Sie wollen ihr Wunder, sie suchen danach, sie stecken die Köpfe zusammen,
die Luft ist geladen vor Erwartung.
    Aus einer Ecke springt es auf,
wer hat zuerst gerufen —? «Un miracle! Un miracle!» Alle laufen, da ist kein
Halten mehr. Ein Hauchlaut der Verwunderung ertönt, wie beim Chor im Drama, der
mit leisem «Ha —» vor einem Helden zurückweicht... «Un miracle! Un miracle!» Im Nu
ist die Tür des Bureau des Constatations umlagert.
    Das liegt in einer Seitenwand
der Rampe, die Tür ist zugesperrt, denn die Ärzte drinnen wissen, was sich
jetzt ereignen wird. Die Pilger würden die geheilte Kranke zu Boden reißen, sie
betasten wollen, ihren Segen wünschen, sich ihre Keider teilen zum Andenken.
Viele Frauen schluchzen.
    In den kleinen Zimmerchen des
Bureaus warten Priester, fremde Ärzte, die Angehörigen. Die Kranke breitet ihre
Zeugnisse aus, die besagen, daß und wie sie erkrankt war, sie wird untersucht,
befragt, ausgehorcht... Die Kommission ist sehr vorsichtig, sehr skeptisch,
sehr behutsam... Nun ja, eine Besserung... Vorläufig, wird die Kranke ins
Hospital entlassen. Draußen bilden Tausende Spalier und klatschen ihr zu,
jubeln; strahlend durchfährt sie die: Hecke der Begeisterten und heimst so
etwas wie einen persönlichen Erfolg ein. Die Heilige Jungfrau hat

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