Ein Pyrenäenbuch
nicht an Wunder glauben, und fordert jeden
auf, ungestört seine gegnerische Meinung hier zum Ausdruck zu bringen. Kenner der
Materie entsinnen sich des Geschreis, das es einmal gegeben hat, als die
französischen Freimaurer als Demonstration einen ihrer Kongresse in Lourdes
abhalten wollten. In solchen Fällen ist ja wohl der Staat nicht in der Lage,
die öffentliche Ordnung zu garantieren...
Und wenn man diesen Film hinter
sich hat, darf man das ‹Römische Museum › ansehen, ein
Wachsfigurenkabinett mit wilden Löwen, zerrissenen Christen und einem
herrlichen Erklärer. Er redete wie eine Gebetmühle. Der Bruder der seligen
Bernadette sei zwar kein Römer, aber er kenne ihn sehr gut: der Mann habe seine
Schwester niemals richtig geschätzt, nein, nein. Da sagen sie, sie liege in
Nevers begraben... Er, der Erklärer, wisse mehr — er dürfe nur noch nicht
darüber reden. Das ist schade.
Die einzig wirkliche Erholung
sieht anders aus. Oben, auf einer Anhöhe, liegt das Schloß und darin das
Pyrenäische Museum. Es ist das schönste Museum, das ich in diesen Bergen
gesehen habe — weil es klug angelegt ist. Französische Provinzmuseen stehn auf
keiner sehr hohen Stufe, sie haben herrliche Kunstwerke, aber die Stücke werden
nicht immer gut präsentiert. Hier in Lourdes aber hat ein kunst- und
landeskundiger Mann, Herr Le Bondidier, die bäuerlichen Gerätschaften, die
Bilder, gute Diapositive, Bücher und Kinderspielzeug, Pilgermünzen und Andenken
so fein geordnet und mit einer solchen Liebe aufgebaut, daß einem das Herz im
Leibe lacht. Ich konnte mich gar nicht trennen. Die kleinen Burgzimmerchen
haben Nummern, die den Besucher ohne Katalog automatisch durch das ganze Schloß
führen, und was man sieht, geht einen etwas an, steht hübsch da, langweilt
nicht.
Herrn Le Bondidier habe ich in
seinem Büro besucht. Er erinnert im Aussehen — o ihr Rassenphysiologen! — an
Wilhelm Raabe. Er darf sich rühmen, die schönste Aussicht von ganz Lourdes zu
besitzen: sein Arbeitszimmer sieht grade auf die Basilika — drei riesige große
Fensterbögen zeigen ihm von hoch oben Kirche, Massen, Prozessionen und
Fackelzüge. Die Wände sind mit hellbraun getöntem Holz getäfelt, bunte baskische
Bilder hängen da... endlich, endlich einmal einer, der nicht im Directoire-Stil
sitzt und nicht in Louis I—XVI. Als der hochgewachsene Mann, von dem im Museum
eine lustige Karikatur als Bergsteiger, der alles bei sich hat, hängt, das
Zimmer einen Augenblick verläßt, sehe ich auf die Bilder an den Wänden und
finde etwas. Da reitet ein dunkler Reiter durch blutige Nacht, hinter ihm
ballen sich erschreckte Massen, der Reiter hat etwas auf dem Kopf, das ist ein
Kürassierhelm, und als ich genauer hinsehe, entdecke ich die zwei
Schnurrbartspitzen, ‹Kain› steht darunter. Es ist immer hübsch, wenn ein
Volk durch seine Fürsten gut im Ausland repräsentiert wird.
Und wieder hinunter nach
Lourdes.
Da rollt der Betrieb ab, der
kirchliche und der kaufmännische. Bei Huysmans habe ich gelernt, daß es
Ungläubige und Freimaurer aller Grade sind, die da ihre Geschäfte machen, es
soll ganz schrecklich sein. Aber diese wilde Rotte nimmt den Pilger nicht
einmal sehr hoch; die Preise sind nirgends unverschämt, wenn auch nicht
niedrig. Selbst die Stadt will ihre Position nicht ausnutzen: sie beansprucht
keine Beherbergungssteuer (taxe de séjour), verzichtet so auf Millionen und ist
nur eine mäßig begüterte Gemeinde. Das hat seinen Grund:
Lourdes ist eine Stadt der
kleinen Leute.
Der Tourist ist sofort
kenntlich — er gehört meistens, wie Tante Julia das nennt, den ‹besser
gekleideten Ständen › an; in den Pilgerzügen aber dominieren Bauern und
Küstenfischer der Bretagne und kleines und kleinstes Kleinbürgertum: Gärtner,
Dienstmädchen, Portiers, kleine Beamte, Handwerker. Das sind nicht die
Gesichter organisierter Industriearbeiter.
Und wenn die feinen Leute dabei
sind, dann in so aufdringlicher und aufreizender Form...
Nach dem Allerheiligsten in den
Prozessionen gehen sie. Da sah ich den Herrn Grafen und den Herrn Baron und
dessen Söhne und so vornehme Herrschaften... Sie gingen in einer kleinen
Gruppe, für sich: fromm, aber erster Klasse. Vor Gott sind alle gleich, gewiß,
doch muß man das nicht übertreiben.
Es sind nun Leute von so vielen
Nationen da, aber es ist immer derselbe Typus. Der bäuerliche, der
kleinbürgerliche. Besonders die Frauen erinnern an Klatsch im Schlächterladen,
an kleine
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