Ein Pyrenäenbuch
ermüdend, er erfordert sehr viel
Körperkraft, sehr viel Geduld, sehr viel Hingabe. Ihr Benehmen zu den Kranken
ist rührend. Aber der angenehme Umstand, daß in allen Prozessionen und bei
allen Veranstaltungen niemals ein Schutzmann zu sehen ist, wird dadurch
aufgewogen, daß gewisse Träger sich schlimmer benehmen als acht Polizisten
zusammen. Sie teilen ein und ordnen an, sie geben Befehle und sind nervös,
lassen die Kranken in Frieden, aber treiben die Gesunden zu Scharen, obgleich
das gar nicht nötig wäre — kurz: manche unter ihnen spielen die Rolle des
dummen August, der herumwirtschaftet, während andre arbeiten. Da waren so
schnurrbartgezwirbelte Gesichter, die krähten — Huysmans hat mal einen sagen
hören: «Wir werden jetzt die Heilige Kommunion austeilen!» Mir war sonderbar
zumute, als ich sie herumtanzen sah — das hatte ich doch schon einmal im Leben
gesehen... «II
y a beaucoup d’anciens officiers parmi eux!» sagte mir ein Abbe. In Ordnung.
Über den Eisenbahndamm fahren
die Züge, da flattern die weißen Tücher zur Begrüßung und zum Abschied, und die
Leute singen, nach dem Wort eines katholischen Dichters, während der Fahrt so
schön falsch, nicht als ob es nach Lourdes, sondern als ob es ins Fegefeuer
ginge.
Vieles hiervon steht bei
Huysmans. Sein Fanatismus hat ihn, den Frischbekehrten und also lächerlich
Überhitzten, nicht gehindert, in Lourdes die Augen aufzumachen. Auf einen Teil
der schwarzen Flecke hat er mich erst aufmerksam gemacht, und wenn ich zögerte,
mir Luft zu machen, so stärkte mich ein Blick in sein Buch. Da Stands noch viel
schlimmer. Aber freilich: er glaubte an das Wunder.
Sein Resumé sieht so aus:
«Das steht fest: in Lourdes
erreichen wir die letzten Niederungen der Frömmigkeit.» Sowie: «Lourdes ist ein
riesiges Krankenhaus auf einem ungeheuren Jahrmarkt. Nirgends sonst gibt es
einen solchen Tiefstand von Frömmigkeit, von Fetischismus bis zu postlagemden
Briefen an die heilige Jungfrau...»
Man darf nicht verweilen. Man
sieht zu viel. Doch nirgends Betrunkene, nirgends Leute, die in den Lokalen
juchhein.
Tagaus, tagein Prozessionen,
Menschenversammlungen, Fackelzüge... nach dem achten Mal spürt man die
treibende Macht und die Räder.
Und zu allen diesen
Prozessionen, Menschenanhäufungen, Fackelzügen ist zu sagen, daß meine
Generation den Krieg gesehen hat, wo sich oft Zehntausende auf einem Platz
zusammenballten oder im Karree aufgestellt waren — zur Schlachtung. Der Respekt
vor der Quantität an sich ist vorbei. Und wenn es nicht meine eigne Sache ist,
die da durch eine Menschenmenge gefördert oder bekämpft wird, wenn es mich
nicht berührt, was die vielen Lichter aufflammen läßt — dann greift es mir
nicht ans Herz, und ich würde lügen, wenn ich mich in den Strom der
Begeisterung stürzte. Das Faktum allein, daß dreißig- oder vierzigtausend
Menschen zusammenkommen, ist mir gleichgültig. Ja, wenn es der Weltfriede wäre,
den sie da mit Gesang und Fackellicht verlangten! Wenn es ein einziger tobender
Protest gegen den staatlichen Massenmord wäre, erhoben von Müttern, Witwen,
Waisen... ich hätte wahrscheinlich geweint wie ein kleines Kind. So aber schlug
die Quantität nicht in die Qualität um.
Man sieht zu viel. Man sieht,
bei längerm Aufenthalt, wie es gemacht wird, sieht am Häuschen hinter der
Basilika die Aufschrift ‹Hommes› — ‹Femmes› und ‹Cabinets Reserves›, woraus
also zu schließen wäre, daß die Geistlichen, denen man sie reserviert hat,
weder Männchen noch Weibchen sind... Man sieht die Kinoplakate an den Ecken,
Fanale eines unentrinnbaren Zeitalters. Dies ist anders als der Jahrmarkt, der
auch im Mittelalter jede religiöse Zeremonie und jede Hinrichtung begleitet
hat. Dies hier ist mehr, selbständig richtet es sich neben der Kirche auf. Mady
Christians, muß ich hier dich wiederfinden —? Wahrhaftig: da hingst du.
Oh, man hat auch religiöse
Filme. Da läuft zum Beispiel ein Bernadette-Film, der in seiner Herstellung,
mit seinen Schauspielern und Dekorationen an die dunkeln Filme gemahnt, die man
vor dem Kriege in Budapest herzustellen pflegte... Es ist über die Maßen
schauerlich. Der Vortrag des jungen Abbé aber ist es gar nicht, und die Worte,
die er zum Film spricht, stehen an Geschicklichkeit, berechneter Wirkung und
Wirksamkeit tausendmal über dem Schund. Man will übrigens einen neuen
Bernadette-Film herstellen. Der Abbe läßt es nicht an freundlichen
Beschimpfungen derer fehlen, die
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