Ein Pyrenäenbuch
Tierpsychologe, erklärt so die geistige
Ansteckung unter Tieren. Vom Gesumm der Wespen: «Die andern Wespen hören dieses
Geräusch, können es sich aber nur vorstellen, indem diejenigen Nervenfasern,
die es gewöhnlich auslösen, gleichzeitig mehr oder minder erregt werden... Wir
denken nicht nur mit unserm Gehirn, sondern mit unserm ganzen Nervensystem.»
Nun, hier in Lourdes wird nicht nur gesummt. Hier wird der Heilwille
angespannt.
«Die Wunden der Sieger
schließen sich schneller als die der Besiegten»; das gilt auch körperlich. Die
Seelenheiterkeit, die gute Stimmung, der Wille, gesund zu werden — wer kennt
das nicht! Und der wird hier aufgereizt, angespannt, hochgepeitscht...
Ein besonders schönes Beispiel
von Massensuggestion sind die Lungenkranken aus der Heilanstalt zu Villepinte,
deren Belegschaft jedes Jahr wiederkam. 1896 werden acht von vierzehn Personen
geheilt; 1897 acht von zwanzig, darunter nur vorübergehende Besserungen, 1898:
vierzehn von vierundzwanzig. Unnötig, auszumalen, was sich das ganze Jahr
hindurch in der Lungenheilanstalt abgespielt hat — die Gespräche, die
gegenseitigen Ermunterungen, die ununterbrochenen Wach-Suggestionen, die
Zeitungsartikel... Einen günstigeren Boden gibt es nicht.
Nun könnte man sagen: aber wie
verhält es sich mit der Heilung von Kindern, die kaum oder noch gar nicht
sprechen können, auf die also die Wirkung einer normalen Wort- und
Bildsuggestion nicht in Frage kommen kann? Der Professor Bertrin führt eine
große Anzahl an: 1897 ein Kind von knapp drei Jahren, 1896 ein Kind von zwei
Jahren, er geht sogar bis auf das Jahr 1858 zurück... Aber grade bei Kindern
erscheint mir die Sache besonders zweifelhaft: denn da sind es die
Krankheitsberichte der Eltern, die ihr Kind geheilt haben wollen, und die nicht
wissen, daß es grade bei Kinderkrankheiten verblüffende Fälle von raschen
Zustandsveränderungen gibt.
Liest man die kirchlichen
Bücher, so hat man den Eindruck, wie wenn sich dergleichen noch nie ereignet
hätte. Damals, als der Präfekt von Tarbes die Grotte schließen wollte, erhob
sich die ganze Gegend. «Von dem Tage an, als die Gendarmen erschienen und die
Leute von Strafe hörten, war die Aufregung so stark, daß sich die ganze
Gemeinde und auch die Nachbargemeinden, wie vom Widerspruchsgeist getrieben,
für diese Neuerung begeisterten.» Aber das ist nicht Lourdes, sondern stammt
aus einer Wundergeschichte, die in Trennfeld im Jahre 1892 spielte. Es kommt
alles wieder, auch die Wunder, grade die Wunder. Sie haben ihre Gesetze.
Dergleichen ist ja nicht neu.
Der Doktor Vachet aus Paris, der übrigens eine sehr verdienstvolle
Aufklärungsschrift über Lourdes geschrieben hat, zeigt genau dieselben Methoden
bei einem Mann auf, der sogar in Paris einen Saal knüppeldick voller Menschen
hatte: Herr Beziat, ein Landwirt, der die Leute durch Zuspruch heilte. Und der
sagte offen, was es ist: es ist der Wille. Wobei er die Bemerkung macht, daß
der Kranke durch den fremden Appell an die ‹Lebensquelle›, die sich nun gegen
die Krankheit aufbäumt, zunächst noch mehr leide — eine sehr feine und
treffende Beobachtung.
Von den zahllosen Analogien und
Kopien von Lourdes nur zwei.
Die schwindsüchtige Maria
Bashkirtseff war im Jahre 1881 in Kiew. Ihr Tagebuch ist heute mausetot — aber
es bleibt doch das rührende Zeugnis eines armen Vögelchens. Da betete man für
sie, ihre Eltern beteten, sie auch; aber sie glaubte nicht an die Heilung. Und
so wurde es denn auch nichts. Ihre kleine Schilderung von Kiew, die unter dem
21. Juli eingetragen ist, wirkt wie ein dünnes Abziehbild von Lourdes.
Und da ist das Heiligtum von
Oostakker in Belgien, eine gradezu barocke Geschichte. Die Marquise von
Courtebourne hatte sich in ihrem Schloß, wie es um 1870 Mode war, ein
‹Aquarium› anlegen lassen, mit Teichen und Wasserkunst und allem übrigen. Ihr
Abbe zeigt ihr ein Bild der Grotte von Lourdes — das möchte sie auch haben. Es
wird eine Nachbildung bestellt und ausgeführt, mit der Statue der Madonna und
allem, was dazugehört, auch dem exportierten Wasser aus Lourdes. Und nun fangen
doch wahrhaftig die Gläubigen an, hierher zu wallfahrten —! Unter den Geheilten
strahlt das Glanzstück: de Rudder. Der Mann war ein Bettler, dem ein Sturz vom
Baum sein Bein zerschmettert hatte. Bruch des Schienen- und des Wadenbeins,
Operation ohne Asepsis: schwere Eiterung, in der Wunde sollen die Knochenenden
deutlich zu sehen gewesen sein. Diesem Mann
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