Ein Pyrenäenbuch
— deshalb haben es die
Wundergläubigen so leicht.
Die katholische
Wundererklärung, auch die durch die Ärzte, grade die durch die Ärzte, ist
scholastisch durchgearbeitet. Bleibt zum Beispiel eine kleine Narbe vom alten
Leiden übrig, so scheut sich doch ein erwachsener Mann nicht, das als ‹Signatur
Gottes› anzusehen, gewissermaßen ein Fabrikzeichen: ‹Nur echt mit...›
Die Anschauungen, denen man in
dieser katholischen Ärzteliteratur über Suggestion begegnet, sind zum Teil
wahrhaft kindlich. Bertrin nimmt allen Ernstes das Diktum eines
Laienhypnotiseurs auf, der ihm in Lourdes sagte: «In Lourdes gibt es überhaupt
keine Suggestion. Die Priester, die die religiösen Beschwörungen vornehmen,
denen die Menge respondiert, beten anstatt zu befehlen. So suggeriert man
nichts.» Ich weiß nicht, wo der betreffende Herr hypnotisieren gelernt hat —
aber ich möchte mich nicht von ihm behandeln lassen.
Eine der exaktesten
Definitionen der Suggestion steht bei Bechterew. «Suggestion beruht auf
unmittelbarer Überimpfung bestimmter Seelenzustände von Person auf Person mit
Umgehung des Willens, ja, nicht selten auch des Bewußtseins des Auf nehmenden.»
Und: «Nicht durch den Haupteingang, sondern sozusagen von der Hintertreppe aus
gelangt der Eindruck... unmittelbar in die innern Gemächer der Seele.» Die
Definitionen von Liebault, Löwenfeld, Forel, Wundt, Binet und den großen
Franzosen erreichen das nicht an Klarheit — wetteifern kann nur noch Moll, bei
dem es etwa heißt, Suggestion sei der Fall, wo eine Wirkung dadurch bedingt
wird, daß man die Vorstellung ihres Eintretens erweckt. Und das ist der Fall
Lourdes.
Wird nun hier ‹ohne Mithilfe
von Logik› suggeriert, wie Bechterew das als typisch angibt —? Viel klüger: es
wird mit einer Scheinlogik gearbeitet. Die Legende der seligen Bernadette, die
Geschichte der Wunderheilungen, ihre etwas mystische Theorie, die da auf
Erklärung verzichtet, wo man Erklärungen wünscht, und so das schöne Halbdunkel
erzeugt, in dem der Glaube gedeiht — das alles greift ineinander wie die Zähne
eines Räderwerks, und diese Wissenschaft für die kleinen Leute geht denen ein
wie Öl. Die Kleriker haben auf alle Angriffe einen Einwand, für jeden Beweis
einen Gegenbeweis, und es ist wie mit den Juristen: folgt man ihnen erst einmal
auf diesen Morastboden der Klopffechterei, dann ist alles verloren. Sie nennen
das beide — Kirche und Rechtswissenschaft —: die Gesetze der Vernunft. Und
vergessen nur, daß sie stets herausinterpretieren, was sie vorher
stillschweigend hineininterpretiert haben.
Nun ist aber Suggestion kein
krankhafter Vorgang, sondern etwas dem menschlichen Leben durchaus Natürliches,
eine Sache, mit der die Gesellschaft steht und fällt; ohne Suggestion ist kein
Zusammenleben denkbar. Diese Spezialsuggestion von Lourdes setzt zunächst die
Behauptung in die Voraussetzung, supponiert den Gott, den sie ja grade beweisen
will, und appelliert außerdem an viel tiefere Instinkte.
«Unser ganzes Bestreben geht
danach, geliebt, bewundert, beneidet oder wenigstens bemitleidet zu werden,...
die Gedankenwelt andrer zu bevölkern, die uns lieb sind oder die uns
imponieren.» (Gleichen-Rußwurm.) Das ist es. Es ist der Geltungsdrang.
Ich habe im Bureau des
Constatations ein junges Mädchen gesehen, das wollte sich eine Wunderheilung
attestieren lassen. Die Unterhaltung war der Typus eines Kuhhandels. «Tun Sie’s
doch, Herr Doktor!» — «Eine gewöhnliche Besserung von Sodbrennen — das genügt
nicht, Fräulein!» Die Augen des Mädchens glänzten, sie hatte einen puterroten
Kopf und kämpfte um ihr Leben. Draußen hatten sie eben eine scheinbar Geheilte
vorbeigetragen, das Klatschen und die begeisterten Zurufe lagen noch in der
Luft... sie auch! sie auch! Eine Rolle spielen, bewundert werden, auserlesen sein
unter Tausenden... sie auch! Sie entfernte sich, enttäuscht, gekränkt, in ihren
tiefsten religiösen Gefühlen getroffen, wie nach einem verlornen Gefecht.
Aber suggeriert der behandelnde
Arzt nicht auch? Hypnotisiert er nicht? Ist nicht ein Teil seiner Wirkung
eingestandenermaßen in seiner persönlichen Suggestion zu suchen?
Und hier scheint mir Zola, der
mitgedacht wird, wenn Lourdes gedacht wird (was nach einem Raabeschen Wort
‹Ruhm› bedeutet) — hier scheint mir dieser tapfere und wirkungsvollste
Vorkämpfer, dessen Roman in Deutschland berühmter ist als bekannt, einen Schuß
nicht abgefeuert zu haben. Wie haben sie ihn
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