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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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der Theoretiker gern möchte, umgekehrt.
    Also doch Unsre Liebe Frau von
Lourdes —?
    Nein.
    Sie ist die Personifikation des
menschlichen Willens, dem die Kirche das genommen hat, was sie der Gottheit
gab. Innen sitzt es — nicht außen.
     
    So ist es immer gewesen.
    Da ziehen sie hin, die Schafe —
Walter Mehring hat sie gesehn.
     
    Durch
die Jahrtausende geht ihr Zug
    Mondhell
leuchtenden Steißes —
    Immer
ein schwarzes, ein weißes —
    Heiliger
Nepomuk!
     
    Da ziehn sie hin.
    Ich weiß nicht, ob schon wieder
deutsche Katholiken nach Lourdes wallfahrten. In großen Zügen tun sie das
meines Wissens noch nicht. Sie werden keinen leichten Stand haben. Die
französischen Katholiken sind, im Gegensatz zu den deutschen, die wildesten
Nationalisten; es gibt zwar keine PanFranzosen, und selbst die ‹Action
Française› will keinem andern Volk etwas fortnehmen — aber wenn Ka-r’oXoç
erdballumspannend heißt, so ist das ein Erdball mit Hindernissen. Es ist mir
nie klar gewesen, wie ein frommer Katholik dem andern ein Bajonett in den Leib
jagen kann — fühlt er nicht, daß es die eklatanteste Religionsverletzung ist,
die es gibt? Dafür zum selben Gott gebetet, dasselbe Sakrament verehrt,
dieselben Bitten gesprochen, dafür...? Mir sind sämtliche Kunstgriffe der
Kriegstheologen bekannt, man kann ja alles beweisen. ‹Gebet dem Kaiser, was des
Kaisers ist› und ‹Gehorchet der Obrigkeit› — aber in der deutschen
Kriegsliteratur zum Beispiel ist doch den Katholiken bei Aufstellung dieser
kümmerlichen Sätze nicht so kannibalisch wohl gewesen wie der protestantischen
Konkurrenz. Die jungen pazifistischen Katholiken in Deutschland, etwa die Leute
um Vitus Heller, werden jedenfalls noch eine schwere Arbeit haben, wenn sie mit
diesen französischen Glaubensgenossen zusammentreffen wollen. Denn da
katholische Deutsche vor dem Kriege in Lourdes gewesen sind, zum Beispiel
Bayern, so ist es theoretisch nicht ausgeschlossen und praktisch mehr als
wahrscheinlieh, daß Männer, die gemeinsam vor der Kirche das Credo gesungen
haben, sich späterhin bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt haben, als Soldaten, die
sich damit noch brüsten, zum Beispiel Bayern.
    Ich weiß sehr wohl, daß im
allgemeinen dem deutschen Publikum nicht sehr wohl ist, wenn es gegen die
Übergriffe der katholischen Kirche geht. Der Katholik ist dagegen; der
Protestant hat Furcht, daß das Feuer auf sein Haupt übergreife, und der Jude
sagt: politische Rücksichten und meint: Angst vor dem Antisemitismus. Mit einem
kämpferischen freien Geist ist es bei allen dreien nicht weit her.
    Die Aufgabe wird einem doppelt
schwer gemacht: durch die wanzenplatten Monisten und die unzweifelhaften
Verdienste des deutschen Zentrums in der Außenpolitik bis zum Jahre 1924. Aber
das soll uns nicht hindern, die Wahrheit zu sagen.
    Und sie kann um so leichter
gesagt werden, als nur Renegaten und Angsthasen katholischer sind als die
Katholiken selbst. Die verlangen nicht, daß man an Lourdes glaube; ich kenne
katholische Franzosen, die mit Feuer und Schwert gegen die Trennung von Kirche
und Staat kämpfen und über Lourdes mit einem Achselzucken zur Tagesordnung
übergehen. Furcht vor dem Kulturkampf ist noch keine Toleranz.
    Toleranz! Aber ich habe noch
nie erlebt, daß die andern auf unsere Gefühle Rücksicht genommen hätten, etwa,
wenn von der Wehrpflicht die Rede ist. Ihnen ist die Sache so
selbstverständlich. Weicht nicht immer zurück, falsche Taktiker, Taktiker eurer
Niederlagen. Und setzt auch einmal dem, der zugreift, die alte Formel der
kirchlichen Druckerlaubnis aufs Heft: Nihil obstat. Imprimatur.
    Hier soll kein Wort der
persönlichen Verunglimpfung Geistlicher stehen. Die Tatsache bleibt, daß
Lourdes Hunderttausenden eine Tröstung und eine Herzstärkung bedeutet. «Aber
wenn nun die Leute ungeheilt zurückkommen», fragte ich einen Abbe, «sind sie da
nicht enttäuscht?» — «Im Gegenteil!» sagte er. «Es ist auf alle Fälle eine
kräftigende Reise.»
    Auf der manche sterben. Denn
der Transport so schwer Kranker, die zum Tei] gegen den ausdrücklichen Rat der
Ärzte reisen und noch stolz darauf sind, ist anstrengend, qualvoll, trotz allem
gefährlich. Von der öffentlichen Hygiene dieser nicht immer sauber zu haltenden
Massentransporte gar nicht zu reden. Also Schließung? Es gibt keine Regierung,
die das wagen dürfte. Es ist zu spät.
    Und ich will nun den Frommen
zum Schluß alles einräumen: daß es wundertätige Heilungen gibt, daß

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