Ein Pyrenäenbuch
Artikel über
die ‹Irrsinnige aus den Pyrenäen› im ‹Journal de l’Empire› in der Nummer
vom 17. Januar 1814. (Es ist dies das nachmalige ‹Journal des Debats›, das noch heute besteht.) Darin ließ er manches Geheimnis durchschimmern, ohne
eines zu lüften; nun nahm die Hintertreppenliteratur die Geschichte auf und
überschwemmte Frankreich mit schönen und schauerlichen Romanen von der
entführten Gräfin und Räubersbraut... Sie ist nun längst tot und hat ihr gut
Teil zur Unterhaltung des Publikums beigetragen. Die Irrengesetze tun es noch
heute, aber das ist nicht so harmlos.
Wenn man von dem dickgemauerten
Schloß heruntersteigt und zum Beispiel ins Rathaus zu Foix geht, so kann man,
wenn es sich grade trifft, Zeuge eines Schulexamens sein, das da abgehalten
wird. An diesem Tage standen die kleinen Mädchen mit hochroten Köpfen auf den
Korridoren herum und tuschelten sich die Ergebnisse und ihre Befürchtungen ins
Ohr. Milde Lehrer stellten in einer Stube Fragen — sie halfen nach, aber die
jungen Damen schwitzten Blut und Wasser vor Angst.
Ich saß noch ein Stündchen bei
den Rathausbüchern in der kleinen Munizipalbibliothek.
Und dann ging ich durch die
Straßen und sah alles an und guckte überall hinein und freute mich des Glücks
der Fremden: dabei zu sein, ohne dabei zu sein.
Ein paar Wegstunden von Luchon,
in der Ebene, steht die Kirche und das Kloster von St.-Bertrand-de-Comminges.
Die hat die schönsten Holzschnitzereien, vor denen ich gestanden habe.
Es ist eine alte Kirche mit
einem verwitterten Portal; die Pförtnersfrau, die mich herumführt, ist so
asthmatisch, daß ich Luftbeklemmungen habe, wenn sie lange Sätze in Angriff
nimmt. Aber als sie die innere Gittertür aufschließt, höre ich gar nicht mehr
zu, was sie betet — ich sehe nur.
Innen in der Kirche steht ein
Chor mit Holzstühlen und einer rechteckig herumlaufenden Holzwand. Es ist
unfaßbar, was sie da gemacht haben.
Es wimmelt von Figuren, Emblemen,
Wappen, Köpfen, Körpern, Blumen und Gruppen. Keine Verzierung wiederholt sich
auch nur ein Mal; alles ist bis ins letzte durchgearbeitet. Ein verrückter
Bildhauer hat einmal seinem Arzt erklärt: «Ich sehe das Holz an, und dann sagt
es mir, was es werden will»; so etwas ist auch hier vorgegangen. Es gibt da
wilde Anhäufungen: indische Reminiszenzen; zwei Mönche, die sich um einen
Bischofsstab streiten, sie haben Affenzüge und zerren am Stock, als ob sie
damit sägen wollten; hervorragend unanständige Details; Apostel. Klappt man die
Sitze hoch, so zeigt sich ein kleiner Untersitz, der aus einem Kopf besteht,
und jeder Sitz hat seinen besondern — es ist ganz erstaunlich. Adam und Eva
sind zu sehen: man möchte die Konturen der Körper nachfühlen, so laufen die
Linien. Ein Holzwunder, den Altar haben sie farbig zugerichtet; es soll
zwanzigtausend Francs kosten, die Kolorierung und Vergoldung wieder abzukratzen.
So lange habe ich da
herumgestanden, daß ich schnellen Schrittes gehen mußte, um nach Gargas zu
kommen. Zur Höhle von Gargas. Nun, es ist eine Höhle wie andere auch.
Aber der neue ‹Pitaval› kennt den Ort, und auch ich kannte ihn: Blaize Ferrage, der Menschenfresser,
hat da gewohnt. Das war ein kleiner, übermenschlich starker Bursche, ein
Maurer, der sich 1779 vom Leben der Menschen losgelöst hatte und einsam in
dieser Höhle wohnte. Sie war wohl damals nicht so zugänglich wie heute; er
hauste da, ganz für sich, stahl ab und zu, was er sich allein nicht herstellen
konnte, und fraß Menschen. Er stieg wahrhaftig in den Bergen umher, und wenn
ihm junge Frauen in die Hände fielen, schlachtete er sie. Männer fraß er nur,
wenn er Hunger hatte, Kinder mochte er besonders gern.
Die Gegend flammte in
Entsetzen. Schließlich fingen sie ihn — sie hatten ihm einen Sträfling
hinaufgeschickt, der sich die Begnadigung verdienen wollte, mit dem schloß er
Freundschaft, der Freund verriet ihn. Am 13. Dezember 1782 wurde er gerädert.
Und nun werde ich ja wohl vom
Reichsverband Deutscher Menschenfresser einen Prozeß angehängt bekommen: wegen
Berufsstörung.
Allein
Wenn das Stubenmädchen Wasser
und Handtücher gebracht hat, sagt es: «Brauchen Sie noch etwas?» Das ist eine rhetorische
Frage, und dann zieht es die Tür hinter sich zu. Nun bin ich allein.
In einem fremden Hotelzimmer
öffnet man das Fenster und macht es wieder zu und geht hin und her. Die Bilder
an den Wänden sind töricht, natürlich. Wenn man sich gewaschen
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