Ein Pyrenäenbuch
die
Nationalstraße Andorras entlang; sie ist einen Meter fünfundsiebzig breit und
höckrig. Eine Fahrstraße durch das Land gibt es nicht. Die Staatspost ging mit
uns und erzählte sich ellenlange Geschichten mit dem Eselstreiber; sie
marschierten in gleichmäßigem Schritt, und dabei sprachen sie ununterbrochen.
Ich verstand kein Wort — aber wenn sie ihre Feinde nachahmten, das verstand ich
gleich. In ihrer Rede kam nach dem schreienden Diskant des Gegners der ruhige
Männerton zur Geltung — das war dann der Berichterstatter selber, der
gesprochen hatte, ein umsichtiger, vernünftiger Mann.
Wir kamen an Eskaldas vorbei,
einem kleinen Flecken mit etwas feinem Häusern; ein schwacher Ansatz war zu bemerken,
das Ding als Badeort auszugeben, aber sie schämten sich wohl selber ein bißchen
und so blieb es bei einigen Aufschriften. La Mosquera erschien und Meritxell,
da stieg ich ab. Ich wollte die Kirche sehen, zu der die Leute gewallfahrt
kommen. Es war eine weißgetünchte, kleine Bergkirche, mit hübschem gedecktem
Gang draußen vor der Tür; drin stak alles voll Weihgeschenken und frisch
gekauften Statuen. An einer versteckten Stelle schien die Sonne hindurch und
warf ein hellgrünes Mondantlitz auf die gegenüberliegende Wand, das war
offenbar ein himmlisches Gesicht. In Soldeu blieb ich sitzen.
Der Briefträger und der
Eselstreiber aßen mit mir zusammen Mittag — um wieviel anständiger benehmen
sich oft Romanen als manchmal andere Leute! Es waren doch Bauern, aber da war
nichts Schmeichlerisches und nichts Rohes — es war ein Mittagessen unter drei
Gleichberechtigten, und sie hatten gute Tischmanieren und aßen appetitlich. Nur
mit dem Trinken war das nicht einfach; da gab es so eine Glasflasche mit einem
dünnen Rohr, das man sich eine Spanne breit vom Gesicht weghielt, und dann
ergoß sich ein dünner
Strahl in den Mund. Bei mir auf den Fußboden. Nachmittags legte ich mich ins
Gras.
«Jede Provinz, jeder Winkel auf
der Erde gibt dem Vorüberkommenden, der keine Zeit hat, lange zu verweilen,
etwas mit, was ich ein Stückchen Herz nennen möchte. Manchmal ist es ein
Schritt Tanzender; ein paar Töne, vom Fels zurückgeworfen oder vom Wind
getragen, ein Nichts... irgend etwas ganz Simples... ein Stein, das bemooste
Kreuz an der Straße, ein verfallenes Grab... und alles spricht.» So stand in
einem Reiseführer durch Andorra, und das ist richtig. Was war es denn —?
Ein heißer Tag und das
herrliche Gefühl, in der roten Hitze eisig kaltes Wasser aus einem blitzenden
Glas zu trinken, die Müdigkeit nach dem Ritt und dann die Ruhe im Gras. Eine
Stute beschnupperte mich und ging langsam weiter; ein paar Schweine kamen und
brachen mit großem Gegurgel einen Kohlgarten auf, darauf verjagte sie die
Bauersfrau: «He, he! Pore! Pore!» Das bezogen die Schweine auf sich und liefen
eilig davon; dann schlief ich ein. Als ich aufwachte, stand die Sonne schon
tiefer, und drüben,? auf der andern Seite des Tales, sang eine helle
Männerstimme ewig dieselben sechs traurigen Töne: d, b, g; c, as, f — Die
kleine Melodie verwob sich mit dem Grillenzirpen und dem leisen Wind zu einem
weichen Netz…___
Dann überkam mich unbändige
Lachlust: ich mußte an das Buch von Isabelle Sandy denken: ‹Andorra oder Die
Männer aus Erz›. So sah das Land grade aus. Das ist die Räubergeschichte
von einer andorraner Familie, die wegen des Erbrechts, mit dem es ähnlich stand
wie bei den Basken, viel Sorgen hatte. Der Vater wollte den Jüngern zum Erben,
also zum Alleinerben machen, und der Ältere tötete und mordete wie ein Marder
die ganze Konkurrenz, die ihm in den Weg kam. Da ging es zu —! Geballte Fäuste,
geknirschte Zähne, mit Pulver gefüllte Holzscheite für den heimischen Herd,
verführte Mädchen, erschossene Schmuggler, geschluchzte Gebete und zum Schluß
Absprung des Bösewichts in den Schlund der Hölle. Von dem Edelmut, mit dem das
uneheliche Kind heimlich mit Land dotiert wurde, gar nicht zu reden.
Nun, die andorranische Jugend
in Andorra-la-Vella hatte am Sonntag zum Klang eines mechanischen Klaviers
Onestep getanzt, und was die Rechnungen dieser treuherzigen Landbevölkerung
anbelangt, so hatte man das Gefühl, unter die Räuber gefallen zu sein. Sie
machten kräftige Frankenpreise und setzten hinter die Ziffer: Peseta. Was eine
romantische Multiplikation mit dreieinhalb bedeutete.
Man kennt ein Land natürlich
nicht, wenn man es nur bereist, ohne darin zu leben. Aber Salontiroler... nein:
die ganze
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