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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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Hosen, und daher regnete es — und die Fahrt nahm nie ein Ende.
Aber sie war schön. Wir fuhren, dreiunddreißig Bauern und Bauersfrauen,
neunundneunzig Bündel, Stücke, Körbe, Koffer, Kisten, Käfige... wir fuhren in
eine weite Ebene, die großen, weißen Wolken standen da oben unbeweglich, und
ich war so froh, einmal aus dem Gebirge hinausgekommen zu sein und nach Monaten
endlich wieder die flache Erde zu sehn. Wir passierten zweihundert Gendarmen
und dreihundert Pfaffen. Hier und da sah man auch Menschen.
    In Seo de Urgel, dem
Bischofssitz, war umzusteigen. Ein riesiges Bischofshaus stand da, es sah aus
wie eine Kaserne, und das war es ja wohl auch. Und dann blätterte noch einmal
ein spanischer Gendarm in meinem Paß, kratzte sich hinterm Ohr, holte sich eine
Fibel, lernte rasch die großen Buchstaben... und dann war ich in Andorra.
    Die Täler sahen aus wie alle
Pyrenäentäler dieser Gegend — aber als wir nach Andorra-la-Vella kamen, der
Hauptstadt, da sah ich den Unterschied. Die Hauptstadt hat fünfhundert
Einwohner, und diese Belegschaft eines berliner Ackerstraßenhauses verteilt
sich in graubraunen, primitiv gebauten Häusern, die Feldsteine sind nicht
übertüncht, sondern liegen nackt. Die Ritzen sind mit Erde verstopft.
    Es war später Nachmittag. Ich
klapperte durch die grob gepflasterten Straßen, und was nie in Frankreich
geschehen war, geschah hier: Kinder bettelten mich an. Bitten, ausgestreckte
Hände — und ein paar ganz kleine Steinchen. Das Hotel war ein altes Haus wie
die andern auch, der Wirt sprach Katalanisch, wie alle Leute in Andorra, aber
wir kamen einigermaßen zurecht miteinander. Ich wollte ‹das Haus› sehen. ‹Das
Haus› — als ob es nur dies eine gäbe; Casa de la Val ist das Regierungsgebäude.
    Es war grade keiner drin. Es
erschien ein riesiger Schlüssel mit einem Mann hinten dran, beide schlossen
auf. Außen war ein bißchen Latein an der Tür, innen war ein Schulraum mit alten
Fresken und nackten Bänken und einem Lehrertischchen. Daneben das
Beratungszimmer des Rats. Es sind vierundzwanzig Männer, die das Land
verwalten, vier aus jeder der sechs Gemeinden: Canillo, Odeillo, La Masana,
Encamps, Andorra, San Julia de Loria. Dieser Rat wird alle zwei Jahre zur
Hälfte erneuert; das ist seit Jahrhunderten so. Zwei Vögte führen die
Verwaltungsgeschäfte, einer ist von den Franzosen, der andre von den Spaniern
ernannt. Sie sind Chefs der Landesmiliz. Es gibt aber keine.
    Neben dem Beratungszimmer lagen
der Eßsaal und eine kleine Kapelle. Ich wußte, was sich in dieser Kapelle
befinden mußte, und ich suchte es mit den Augen. Eine alte Kopierpresse lag in
der Ecke, das konnte es nicht sein, ich getraute mich nicht recht, zu fragen...
Da hob der Schlüsselmann die Presse in die Höhe und sagte, das wäre es: la
garotte — die Schraube, mit der man Leute erwürgen kann, wenn man will. Der
Schlüsselmann sagte, er hätte das noch in seiner Jugend mitangesehn.
    Und er zeigte mir die
Amtskleidung der Räte, die Galaröcke der Vögte, ihre Dreispitze — alles zeigte
er mir. Trutz’ge Bauern, die da ihre stolze Unabhängigkeit bis auf den heutigen
Tag bewahrt haben. Aber auf der Pappschachtel, in der die guten Staatshüte
lagen, stand: ‹Columbia U.S.A.› Ich sah ein, daß ich dem deutschen Ideal ganz
nahe war: Mittelalter G.m.b.H. Trotz aller Sprüche der Andorraner: ‹Toca hi so
goses› heißt einer etwa: ‹Fire, but don’t hurt the flag!› — es sind doch keine
Ritter mehr. Ritter bezogen nur ganz selten ihre Hüte aus Amerika. Und dann
ging ich wieder auf die Gasse.
    Die war mittlerweile dunkel
geworden, und ich schlich mich auf den kleinen Marktplatz, der sonderbar und
finster dalag. An der Kirche vorbei... Das Pfarrhaus lag am Marktplatz, und
eines der Häuser war so wunderlich bemalt mit blassen Farben und Figuren... Die
Traumstadt ‹Perle› von Kubin gibt es nicht. Aber hier lag sie. Eine
Katze huschte an meinen Füßen vorbei. Ich drehte mich um: durch die krummen
Gassen schleifte die Cholera ihre Gewänder, ein Laken fegte um die Ecke... es
wäre ein bißchen kalt, fand ich, nun könnte man wohl nach Hause gehen.
    Es gab, mit einem süßen
spanischen Wein, so viel zu essen, daß mir himmelangst wurde. Ein spanischer
Handlungsreisender war auch da, und wir begannen eine merkwürdige Unterhaltung,
die ihr Fundament in romanischen Wörtern eigener Prägung hatte... Es war nicht
leicht. Am nächsten Morgen ritt ich ab.
    Ich zog mit einem Führer

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