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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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sind auch so glücklich und zufrieden.
    Was gemacht wird, wird
ordentlich gemacht; jemand, ders verstand, machte mich auf die intensive Art
aufmerksam, in der hier gemäht wird: so ein Feld sieht wie rasiert aus. Und
hinterher treiben sie noch ihr Vieh über die Fläche.
    Die Technik trifft man
stellenweise... Pflüge sind zu sehen, von einer Primitivität, die erkennen
läßt, wie sich durch Jahrhunderte und Jahrtausende nichts gewandelt hat, und
von einem Dampfpflug wird hier kein ehrlicher Ochse etwas wissen wollen.
    Weil wir grade von Rindvieh
sprechen: auch die Politik bringt diese Bauern nicht auf den Trab. «Wen wählen
sie —?» fragte ich. «Den Sohn des alten Deputierten», sagten die Kenner, und so
war es häufig. Sie wählten oft die Person und den Familiennamen, nicht die
Parole und die Partei. Der Vater hat‘s gemacht, der Sohn wird‘s auch machen. Das
ist politisch sicherlich rückständig, aber ebenso sicher immer noch besser, als
ein abstraktes Listensystem, bei dem der Vorsitzende des Verbandes Deutscher
Steuerassistenten zur Wahrung seiner Berufsinteressen ins Parlament geschickt
wird, ohne daß man‘s eingestehen will. Und so sieht das .Parlament ja auch aus.
    Die Bauern in den Ostpyrenäen
verstehen von der Schule her alle Französisch, aber sie sprechen daneben und
unter sich ihren Lokaldialekt. Der ist in vielen Tälern ein seltsames Gemisch
aus Französisch, Spanisch, Lateinisch und Arabisch, die Sarazenen sind einmal
hier gewesen. «Harri!» treiben sie ihre Esel an, und das ist ein altes
sarazenisches Wort. Die Dialekte sind von Tal zu Tal abgestuft, Aussprache und
Lautnuancen, besonders in den Vokalen, verschieden. Sprechen sie französisch,
so hat es die Färbung des Mididialekts, eine schauerliche Sache. Mit vielen
‹He› und singenden Tönen am Satzende ist der französischen Sprache das
ausgetrieben, was sie so liebenswert macht: ihre Musik.
    Wer die Alpen kennt, weiß, wie
sich Bewohner benachbarter Täler voneinander unterscheiden und wie doch der
Reisende die gemeinsamen Züge herausfinden kann, eben weil er den Kleinkämpfen
ein unbeteiligter Zuschauer ist. Ist man aus dem Lande der Basken heraus und
durchreist Béarn (ganz richtig, das Land mit der Sauce), Bigorre, die Vier
Täler und später eine Landschaft, Roussillon geheißen — so hat man das typische
Bild der Gebirgslandleute. So ein Gespräch wäre sehr wohl auch hier möglich:
«Der Rüderer! Das ist ja ein Fremder! Sein Großvater ist übers Dachauer Moos
nach München gekommen!» Dixit Ludwig Thoma, und er wollte damit durchaus keinen
Witz machen. Das gibt‘s hier allenthalben.
    Die Unterschiede dieser Täler
sind um so größer, als sie verschiedene politische Verfassungen besessen haben,
und viele früher frei und unmittelbar gewesen sind. Sie hatten schon im
vierzehnten Jahrhundert eigeneideine Volksvertretungen, andere wurden feudal
regiert, und alle wachten ängstlich über die Erhaltung ihrer föderalistischen
Grundlagen. Sie haben sich nicht schlecht dabei befunden. Heute sind diese
Zeiten vorbei, aber ihre Folgen sind im Familienleben und waren bis vor kurzer
Zeit auch noch in der Tracht zu spüren.
    Lichtlein im Tal... dabei sieht
man immer einen Öldruck vor sich. Aber was ‹Tal› ist, das empfindet man ganz,
wenn man aus den Bergen herunterkommt, abgemattet, hungrig, es ist kalt — und
da glänzen die ersten Lichter. Zum Beispiel: Barèges.
    In Barèges habe ich drei
Regentage verwartet, bis ich auf den Pic du Midi hinauf reiten konnte—denn oben
lag Neuschnee, und es war im Ort schon empfindlich kalt. ‹Ort› ist übertrieben.
Es ist eine lange Straße mit einem Badehaus und nicht viel Bemerkenswertem.
    Nachmittags um halb vier
ereignete sich auf dieser Straße ein Ereignis. Der Jäger war von der Jagd
zurückgekommen und hatte seinen Hund neben sich, dem hing die Zunge aus dem
Maul, und müde war er auch. Sie hatten sich einen Hasen besorgt, die beiden.
    Vor der Tür des Fleischerladens
aber saß Rudolf I., Schlächterhund und Straßenkaiser. Ob in der Mittagssuppe zu
wenig Knochen waren, ob der verdammte Rheumatismus die Laune des Alten
beeinträchtigte, kurz: der Jagdpeter ärgerte ihn, er nahm sich kaum Zeit, zu
knurren... dann sprang er an. Erst hörte man dieses schnurrende Geräusch, das entsteht,
wenn zwei Hunde sich ineinander verbeißen — dann lag der Jagdpeter unter dem
großen Doggenkaiser. Der saß auf ihm, als wollte er ihn ausbrüten. Der Jäger
rief und schimpfte, er näherte

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