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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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hat, kann man
pfeifen. Dann lege ich den Kopf an die Scheiben und mache ein dummes Gesicht.
Die Nägel könnte ich mir auch mal schneiden. Was tue ich eigentlich hier —?
    Jetzt wäre schön, bei Gauclair
in Paris mit einer runden, bequemen Dame zu sitzen, mit einer, die weder
Hemmungen noch Probleme geliefert haben will, sie sagt: «Iß nicht so schnell —
mein Gott, ich nehm‘s dir doch nicht weg —!» Ja, Paris.
    Die Pyrenäen gehn mich
überhaupt nichts an. Da treibe ich mich nun schon seit zwei Monaten umher,
laufe und fahre von einem Ort in den andern, wozu, was soll das. Für morgen
steht im Notizbuch eine besonders schwierige und mühselige Sache, und zwei
ältere Bücher darüber muß ich auch noch lesen, vielleicht hat sie die
Bibliothèque Nationale... das ist ja alles lächerlich. Wie kalt die
Fensterscheibe ist —
    Jetzt schnurren die Gedanken in
affenhafter Geschwindigkeit, die kleinlichsten Geschichten kommen wieder
angetrabt, kein blutiger Schatten—viel schlimmer: Dummheiten. Herein! Es hat
wohl nur einer an die Wand geklopft. Was sind das für —
    Alles kommt wieder. Es plagen
und zwicken mich die verpaßten Gelegenheiten, die Antworten, die ich nicht
gegeben habe, die kleinen Demütigungen, eingesteckt und bitter
heruntergeschluckt, aber ein Nachgeschmack bleibt. Da stehe ich nun im
Hotelzimmer und sage mir alles vor, was ich einstmals hätte sagen sollen, aber
versäumt habe, zu sagen — aus Torheit, aus Mangel an Geistesgegenwart, aus
Furcht... Jetzt hole ich es alles nach. Ich sage:
    «Achttausend Mark, zahlbar am
ersten Januar. Etwas andres kommt gar nicht in Frage.» — Ich sage: «Unmöglich?
Tun Sie nur erst Ihr Mögliches, Herr — das Weitere wird sich finden!» — Ich
sage: «Deinen Ring, Lisa.» — Ich sage: «Hier liegt wohl ein Mißverständnis vor,
ich habe Sie um eine sachliche Angabe, nicht um private Meinungsäußerungen
gebeten.» Da war ein Brief... den habe ich nicht geschrieben, ich schreibe ihn
jetzt. Ich gebe es allen ordentlich — sie fragen so recht dummdreist, und meine
Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen.
    Wie dunkel es ist und wie kalt.
Sie könnten hier wirklich heizen, das schadete gar nichts. Aber dieser
Repräsentationskamin da... pah! Ich mag morgen gar nicht auf stehen. Soll ich
krank werden? Ich werde einfach sagen: ich bin krank. Dem Führer mit seinen
Pferden wird das übrigens gleich sein, denn er ist bestellt, und ich muß ihn
bezahlen. Und hier im Hotel macht das Kranksein auch keinen rechten Spaß. Aber
ich gehe ganz früh zu Bett, das sage ich dir. Wem...? Das sage ich dir.
    Wenn sie guten Rotwein haben,
werde ich mir fürchterlich einen ansaufen. Vielleicht gibt es Vieux Marc, aber
nicht in diesen kleinen Gläsern.
    Jetzt ist es blaudunkel.
    Wenn jetzt einer hereinkäme und
mich fragte: «Sagen Sie mal, was machen Sie eigentlich hier —?» ich müßte
antworten:
    «Ich vertreibe mir so mein
Leben.»
     
     

Die Republik Andorra
     
    Sie waren vier Schwestern:
Andorra, Liechtenstein, San Marino und Monaco — und wir durften sie beim Roten
in der Geographiestunde rasch auf sagen: Andorra, Liechtenstein... und die
Hauptstädte — und aus. Inzwischen hat sich die Familie bedeutend vermehrt, denn
was wir da alles an kleinen Staaten in Europa dazubekommen haben, tut diesen
vieren keinen Abbruch, sondern macht sie zu ganz respektabeln Anwesen.
    Die Andorraner sind 5200
Menschen, also ein paar Straßen voll. Aber die Täler, die sie bewohnen, sind
nun einmal seit Jahrhunderten eine Republik, eine selbständige Sache — zuletzt
wurde das im Jahre 1806 geregelt, und Spanien und Frankreich bekommen noch
heute das Überbleibsel eines Tributs: an den Präfekten der Ostpyrenäen gehen
900 Francs im Jahr, an den Bischof von Urgel 450 Pesetas. Im übrigen läßt man
die Andorraner in Ruhe.
    In Bourg-Madame ging ich über
die Grenze — zunächst nach Spanien. Eine hellgelbe Baumallee durchfuhren wir,
der Herbst setzte ein, und die Blätter schrien im Licht. In Puigcerda standen
die Bauern auf dem Markt, von wegen Sonntag; ein altes Überlandauto nahm mich
auf, ein Kasten, der kurz vor Erfindung des Automobils in Gebrauch genommen
worden war. Es war aber erstaunlich, wo diese Arche fahren konnte! Mit einem
Pferdewagen wäre es auf den spanischen Landstraßen schon nicht sehr heiter
gewesen, aber nun —! Das riesige Boot schwankte und taumelte von einer Seite
auf die andre, der Hund, der auf dem Verdeck angebunden war, machte sich vor
Angst in die

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