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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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Da beugte auch ich mich hinunter und sah das Ding genau an und
lachte gar nicht. So verschieden ist es manchmal im menschlichen Leben.
    Wollige Gebirgshunde begegneten
uns, sie sahen aus wie mittelgroße Bernhardiner. Der Führer versprach eine
kleine halbe Stunde Weg — dann seien wir am Lac d’Orédon. Da wußte ich, daß
noch mit zwei ganzen zu rechnen war. Und ein Hotel gäbe es da auch.
    Würden sie mich sehr ausrauben
—? Im allgemeinen war es ja gut gegangen, aber die Reiseschilderer hatten mir
in Paris nicht schlecht Angst gemacht. Die Fremden seien für die Pyrenäenleute
das, was für die Nordlandfischer das angeschwemmte Strandgut: legale Beute. Und
einer hatte, um die mörderische Raubsucht der Leute genau zu charakterisieren,
hinzugefügt, daß im vorigen Jahrhundert ein Präfekt einen Bauern wegen der
Steuern gemahnt und daß der geantwortet habe: «Exzellenz, ich tue, was ich
kann! Seit vierzehn Tagen stehe ich täglich mit meiner Flinte auf der Chaussee
und warte, daß jemand vorbeikommt. Meinen Sie, es kommt einer? Kein Aas. Aber
das verspreche ich Ihnen, Exzellenz: wenn einer kommt, dann bezahle ich meine
Steuern.» Regt es sich im Gebüsch —? Seis. Für das Vaterland bis in den Tod.
Exklusive.
    Aber als ich triefend im
Gasthaus anlangte, da ging es dort wundermild zu, und ein schöner Gebirgssee
war auch da, von hohen Bergen eingeschlossen, ganz einsam. Hätten sie nicht
auch hier ein Stauwerk errichtet, es wäre still gewesen, so aber rauschte der
Wasserfall die ganze Nacht, gegen das Gesetz, denn ein See hat still zu sein,
und er rauschte mich in Schlaf.
    Was sich aber zwischen dem See
von Orédon und Arreau abgespielt hat —: darüber verweigere ich die Aussage.
     
     

Die Täler
     
    Ich will sie gewiß nicht alle
aufzählen. Viele laufen von Norden nach Süden, so daß man bei der Durchquerung
der Pyrenäen immer wieder neue Gebirgspässe übersteigen muß, die guten Straßen
oder gar die Eisenbahnlinien liegen nördlicher, und wenn man sie benutzt, kommt
man zu weit aus den Bergen heraus.
    Steigt man ein wenig von den
Tälern in die Berge, so liegt da die halbhohe Zone, die schon der Graf Rüssel
so gerühmt hat, er, der die Pyrenäen erobert, kartographiert, nach allen
Richtungen hin durchforscht hat. Dieser Bergstrich ist meist einsam, er
entbehrt der großen pompösen Schönheiten, aber er hat seinen Stil für sich.
Gebüsch kriecht am Boden, hin und wieder flattern noch Vögel, es ist noch nicht
kalt und nicht mehr warm, nicht mehr bewachsen und noch nicht kahl, noch nicht
eisbedeckt... Was den Schnee in den Pyrenäen anbetrifft, so ist das mit ihm
nicht so wie in den Alpen, wo man mitten im Sommer viele Bergkuppen antreffen
kann, die strahlend weiß sind. Ein Reiseführer rühmt, durchaus unironisch, den
Pyrenäen etwas nach, was mit einem einzigen Wort, unsere leise Enttäuschung
über die steingrauen Gipfel in einen schönen Euphemismus verkehrt: «Une neige
discrète.» Weniger Diskretion wäre mehr.
    Die Täler... Eins ist ihnen
allen gemeinsam, und ganz besonders denen um Barèges und Luz herum, also
ungefähr in der Mitte der Pyrenäen —: ihr starker Sinn für Abgeschlossenheit.
‹Barèges den Leuten aus Barèges!› Und weil es ein altes soziologisches Gesetz ist,
daß man Näherstehende viel mehr haßt als Fremde, die jenen gegenüber fast
symphatisch erscheinen —: so hassen Rumänen die Österreicher, haben aber nichts
gegen die Reichsdeutschen, und so verachten die Leute aus Barèges die, so ein
Tal weiter wohnen, haben aber nichts gegen die durchreisenden Engländer. Aus
verschiedenen Gründen, versteht sich.
    Diese Bauern haben ihre alten
Sitten, die zum Teil noch merkwürdig unberührt sind, ihre herkömmlichen Riten
bei der Trauer, wo die Witwe eine Kapuze in der Kirche tragen muß, Stolz auf
ihre Wäsche, die sie zu weben beginnen, wenn ein Kind geboren! wird, ihre
Lieder und Sprüche... Es gibt einen, der das seit Jahren systematisch
beobachtet und aufgezeichnet hat — weil er nicht ehrgeizig ist, gibt er‘s nicht
heraus, sondern sammelt lieber Schmetterlinge. Das ist der Schullehrer von
Gèdre, ein Mann, dessen Manuskripte wie kalligraphiert aussehen. Das Werk nun
auch noch verlegen...? Die Welt interessiert hier nicht übermäßig.
    Man findet keine besonders
großen Vermögen; jedes Tal mag, wo keine Industrie ist, kaum fünf, sechs reiche
Familien zählen — der Rest arbeitet, niemand geht müßig, aber niemand reißt
sich ein Bein aus. Und die Leute

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