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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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Sehnsucht einer zu kurz gekommenen Klavierlehrerin sprach aus dem
Buch, die Verachtung, mit der die poesielose Stadt Paris beiseitegeschoben
wurde — da droben, bei euch, ihr Starken, da wohnt das Glück! Heirate, mein
gutes Kind. Aber das macht den Leuten in der Stadt so unendlich viel Vergnügen,
Romane in die Natur zu verpflanzen. Bäuerliche Heldenverehrung ist die Romantik
der Dummen.
    «Wenn ich den Wald besinge, tue
ich das deshalb, weil die Fabrik wütet...» So Isabelle Sandy. Wo wolltest du
leben? In dem muschelförmigen Tal Andorras, umgeben von Faunen und Waldgöttern?
Gegen Morgen hätten sie dir eine Rechnung präsentiert:
    Eine Waldorgie... 85 Pesetas.
     
    Von Hospitalet, im
Französischen, ging früh ein Auto ab, das mußte ich haben. Dazu war es nötig,
nachts zu marschieren. Ich verabredete mit dem zweiten Briefträger der
Staatspost das Nötige und verließ den Ort morgens, um vier Uhr.
    Der Mond hing hoch über dem
Tal, es war kalt, und alle Sterne flimmerten. Totenstille. Den Weg hatte ich
nach der Karte auswendig gelernt; verfehlte ich ihn, war ich meinen Briefträger
los, der hinter mir heraufstieg. An verschlossenen Häusern kam ich vorbei, an
einer dunkeln Scheune und an einem Steinbruch. Er bewegte sich. Da lag, im
kaltbleichen Mondschein, eine Schafherde im Pferch, wie versteinert ruhten sie,
nur die vordersten kauten leise und hoben die Köpfe. Ich blieb stehen — hundert
Augen sahen mich an.
    Dann entfärbte sich der Himmel,
auf den Hügeln wurde es Licht, jetzt stieg der Weg an, und nun hörte ich unten
den Briefträger pfeifen. Ich wartete. Dann wurde es immer heller, die Felsen
gegenüber waren rosenrot, der Mond blieb oben stehen, um ja nichts zu versäumen
— jetzt mußte die Sonne aufgegangen sein, aber wir sahen sie noch nicht, der
Paß verdeckte sie.
    Der Briefträger legte ein Tempo
vor... Er ging, wie Älpler gehen: ganz leicht. Man sah ihm an, daß er sich
nicht anstrengte, sein Schritt war von vollendeter Gleichmäßigkeit, hinauf,
hinunter, kein Unterschied. Ganz oben auf dem Paß lag Reif.
    Wir stiegen zu Tal. Wir kamen
an die kleine graue Brücke: die Grenze. Nun war ich wieder in Frankreich, und
das freute mich. Der Mann lief, aber man sah das nicht; welche Beine —! Die
Sonne ergoß sich noch purpurrot auf den breiten Weg, die Täler lagen still, nur
einmal begegneten wir ein paar Füllen. Hoch oben stand das Eingangshaus zu
einer verlassenen Eisenmine.
    Die Fünftausend da hinter mir
sind Bauern, und kleine Bauern. Es gibt etwa sieben oder acht wohlhabende
Familien — der Rest schlägt sich so durch. Die Gemeinden nehmen durch die Pacht
der Berghalden dies und jenes ein; großer Wohlstand herrscht da jedenfalls
nicht. Was die Viehzucht nicht bringt, macht natürlich der, sagen wir,
Transithandel. Da gab es einfache Andorrabauern, die bestellten sich aus
Frankreich die teuersten Mähmaschinen, die mehr kosteten, als ihr ganzer Besitz
wert war. In Andorra wurden diese Maschinen auseinandergenommen und über die Berge
nach Spanien getragen: auch hier eine große Kraftanspannung, körperliche
Arbeit, Mut — und eine elende Bezahlung. Alle Welt weiß das, hier an der Grenze
erzählten mir zwei französische Gendarmen voller Bonhomie die schönsten
Schmugglergeschichten und suchten mit ihren Ferngläsern die kahlen Bergwände
ab. Es kam aber keiner, und in meinen Morgenschuhen war kein Tabak.
    Republik Andorra...! Dieser
Staat hat — im Gegensatz zu Hamburg — in Berlin keinen Gesandten. Wenn aber die
Republik Andorra in Deutschland läge, hätte sie einen, aber dann wäre es keine
Republik.
    Waren die Mädchen Andorras
eigentlich hübsch —? So sehr nicht, aber schließlich... Die Andorraner brauchen
nicht zu dienen — weder in Spanien noch in Frankreich. Und wenn man eine
Andorranerin heiratet, dann erwirbt der Mann ihre Staatsangehörigkeit.
    Ewig werde ich mich nach den
Frauen dieses Landes zurücksehnen. Welcher Seelenadel! Welcher Zauber! Welches
Feuer —! Und welch schöne Staatsangehörigkeit.
     
     

Auf der Wiese
     
    Nun bin ich aus den stillen, kalten
Tälern heraus, in einem großen Halbkreis bin ich durch Andorra gezogen, und da
stehe ich nun wieder in Bourg-Madame. Die weite Ebene —
    Die Hitze brennt, ich habe den
ganzen Vormittag Zeit; der kleine elektrische Zug, der nachher rings um dieses
ungeheure Loch in den Bergen herumfahren wird, ist noch nicht da. Jetzt liege
ich auf der Wiese unter den blitzenden Bäumen, ziehe Grashalme aus dem

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