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Ein reiner Schrei (German Edition)

Ein reiner Schrei (German Edition)

Titel: Ein reiner Schrei (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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Reviens hinter die Ohren. Ihr Hirn arbeitete, erwachte zu neuem Leben und erstarb dann wieder, wie der Motor in Pater Roses Wagen.
    »Nichts vielleicht«, sagte sie. »Weiß der Himmel, ich weiß es nicht. Jimmy, ich muss los und unseren verrückten Vater besuchen, um rauszufinden, was er diesmal gestanden hat. Willst du mitkommen?«
    »Was? Zu Dad?« Es hätte nicht viel gefehlt und seine Zunge hätte die Wange durchbohrt. Er rümpfte die Nase. »Nee.«
    »Kann ich dir nicht verdenken. Und jetzt raus mit dir, damit ich mich fertig anziehen kann.«

Dreiundvierzig
    Shell holte ihre taubenblaue Tasche hervor und steckte das vergessene Fläschchen Whiskey hinein, das sie in der hintersten Ecke von Mrs Duggans Küchenschrank gefunden hatte. Ich hatte ein unbändiges Verlangen nach käuflichen Sünden. Die Hölle im Glas, Shell. Sie hatte vom Delirium tremens gehört, den Wahnsinnszuständen beim Alkoholentzug, kurz DT genannt. Declan hatte immer behauptet, DT stehe für Detoxifikationsterror. Es sei der Zorn der Hölle, sagte er, der einem die Dinge bringe, die man am meisten fürchtete. Als sein Onkel darunter litt, habe er gewaltige Riesenschlangen gesehen, die nach Irland zurückgekehrt seien, um ihn heimzusuchen. Wenn Dad dasselbe hatte, konnte er alles gestehen. Sogar Vierlinge und Fünflinge. Vielleicht würde ein Schluck Whiskey ihn wieder zur Vernunft bringen.
    Der Regen wurde zu Schneeregen, als sie und Mrs Duggan durch die Stadt zur Garda-Wache liefen. Der Wind trieb die Flocken vor sich her und nach oben, in ihre Augen, während sie der Hauptstraße folgten und in den kleinen Zickzackpfad einbogen, der den Hang hinaufführte. Sie warteten im zugigen Eingangsbereich. Die Polizisten kamen und gingen, liefen an ihr vorbei, starrten sie an und wandten den Blick ab. Das ist sie, dachten sie bestimmt. Das Mädchen aus den Schlagzeilen. Infantizid. Gerichtsmediziner. Die volle Härte des Gesetzes.
    Einer der Beamten kam und nickte ihnen zu. »Er ist einverstanden Sie zu sehen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
    »Soll ich nicht doch lieber mitkommen?«, fragte Mrs Duggan.
    Shell schüttelte den Kopf. »Ich muss das allein mit ihm regeln«, sagte sie.
    Der Polizist führte sie durchs Treppenhaus hinunter, dann den Korridor entlang bis zur letzten Tür auf der linken Seite: der Raum mit dem Milchglasfenster. Er ließ sie hinein.
    »Rufen Sie, wenn Sie mich brauchen«, schärfte er ihr ein. Dann schloss er die Tür, um draußen zu warten.
    Dad lag mit dem Gesicht auf der Tischplatte und rührte sich nicht, als sie auf ihn zutrat.
    Shell drehte sich um und schaute nach, ob der Wachtposten nicht durch die Glasscheibe in der Tür hereinsah. Dann zog sie das Fläschchen aus ihrer taubenblauen Tasche.
    »Dad«, sagte sie. »Ich hab dir etwas mitgebracht.« Sie stellte es neben seiner Hand ab, hielt es jedoch fest.
    Er blickte nicht sofort auf. Dann begann ein Auge die kleine goldbraune Flasche zu fixieren. Seine Finger bewegten sich langsam darauf zu, während er sich verstohlen in der Zelle umblickte. Shell zog das Fläschchen zurück.
    »Dad«, sagte sie. »Ich gebe es dir. Unter einer Bedingung.«
    »Bedingung?« Seine Stimme war nur ein Krächzen. »Welche?«
    »Dass du das Geständnis widerrufst. Das mit den Zwillingen.«
    »Bedingung.« Es war mehr ein Zischen als ein Wort. Er schloss die Augen. Seine Brauen wölbten sich und Shell sah, wie an seiner Stirn eine Ader pulsierte. Er stieß ein furchtbares Geräusch aus, das Lachen eines Satans. Seine Hand schoss auf sie zu.
    »Gib das her!« Ehe sie wusste, was geschehen war, hatte er es ihr aus der Hand gerissen.
    »Dad! Nur wenn du widerrufst.«
    »Widerrufst?« Er drückte die Flasche, schüttelte sie und drehte sie um. Hielt sie sich unter die Nase, als könnte er den Whiskey durch das Glas hindurch riechen. Fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Er umklammerte sie so fest, dass Shell befürchtete, das Glas würde zerspringen.
    »Geh … hinter … mich«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Geh, geh, geh schon.«
    Seine Faust hieb auf den Tisch.
    Shell sprang zurück, als könnte er jeden Moment explodieren.
    Er schleuderte die Flasche gegen die Wand. Sie zersprang und der Whiskey spritzte über die gelbe Tapete wie Urin. Klirrend landete das Glas am Boden.
    Shell erstarrte. Der Polizist hatte nichts gehört. Die Tür war massiv. »Dad!«, keuchte sie.
    Eine neue Maske hatte sich auf sein Gesicht gelegt, ein seltsamer Ausdruck der Glückseligkeit. Er

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