Ein reiner Schrei (German Edition)
ursprünglichen Platz zurück, in die Lücke zwischen zweien mit Schokolade. »Sie haben das Baby mitgenommen. Auf Anordnung von Molloy. Für bestimmte Tests, wie sie sagen.«
Shell dachte an Rechenaufgaben und Aufsätze, Arbeitsblätter, die mit der Schrift nach unten auf den Tischen lagen, die tickende Uhr im Klassenzimmer. »Tests?«, fragte sie irritiert.
Pater Rose nickte. »Um herauszufinden, wie es gestorben ist, sagen sie.«
Shells Magen zog sich zusammen. Sie dachte daran, wie Jimmy die Nabelschnur durchgeschnitten hatte, dass sie vergessen hatten sie an zwei Stellen abzuklemmen, wie das Körperbuch es vorschrieb. Die Kekse auf dem Teller begannen sich zu drehen, ein braun-weißes Karussell, Schokolade, keine Schokolade, Schokolade.
Miss Donoghue schob sie sanft in einen Sessel. Mrs Duggan drückte ihr eine warme Tasse in die Hände. »So langsam wird es lächerlich«, bemerkte Miss Donoghue ganz allgemein und ließ sich in einen Sessel fallen, ohne ihren Tee anzurühren. »Das ist doch wohl ein schlechter Scherz.«
»Ich muss um fünf drüben auf der Ziegeninsel sein«, murmelte Pater Rose. Er erhob sich. »Das kommt sicher irgendwie in Ordnung, Shell. Es ist nur eine Formalität. Ganz bestimmt.«
Als er fort war, ließ das Licht in der Küche langsam nach. Das Baby schlief. Miss Donoghue, Mrs Duggan und Shell saßen im Halbdunkel und vergaßen vollkommen die Lampe anzumachen. Tests. Sie sah die graue wurmartige Schnur, wie sie um den Körper des Babys geglitten war, und Jimmy mit der Schere.
Der Steinkreis war zerstört worden.
Als die Jungen hereinkamen, lärmend und johlend, zog sich Shell nach oben zurück, in die Stille ihres Bettes. Ohne sich auszuziehen, kroch sie unter die Decken und presste die Fäuste an die Augen, damit die Muster erschienen. Mach sie nicht auf uns aufmerksam, Shell. Tu’s nicht. Gelbe Flecken explodierten, sanken nach unten wie müde Wolken. Weit entfernt klingelte das Telefon. Bruchstückhaft drangen Stimmen und Rufe zu ihr herauf.
Sie wollte gar nicht wissen, was es war.
Zweiundvierzig
Es war Nacht; Shell lauschte auf den singenden Atem von Trix, die neben ihr schlief, und Jimmy drüben auf dem Feldbett. Sie horchte nach draußen, auf den ersten Vogel des neuen Tages, aber die Finsternis hatte sich festgekrallt und wollte nicht weichen. Die Stille war endlos. Hinter Shells geschlossenen Augenlidern zogen die Seiten des Körperbuches vorbei. Das Baby war tot. Gott sei Dank, Shell. Der Steinkreis war zerstört und man würde sie beschuldigen es umgebracht zu haben. Und vielleicht stimmte es ja, weil sie von dem Abklemmen der Nabelschnur an zwei Stellen gewusst und es nicht richtig gemacht hatte.
Doch als sie am nächsten Tag erwachte, hatte Trix sich mit dem Kopf in ihre Achselhöhle gewühlt, und plötzlich war Shell sich sicher, dass sie ihr Kind nicht getötet hatte. Nicht wie Molloy die Sache dargestellt hatte. Sie hatte ihre Tochter nicht in einer kalten Höhle ausgesetzt, um sie dort sterben zu lassen. Das Baby war tot zur Welt gekommen, wie das zu früh geborene Kalb der Duggans. Was also wollte Molloy mit dem toten Körper? Und was behauptete alle Welt von ihr? Und was hatten die Telefonanrufe des vergangenen Abends zu bedeuten?
Sobald sich im Haus etwas zu regen begann, weckte sie Jimmy und schickte ihn nach unten, um heimlich zu lauschen, was die Duggans hinter dem Rücken der Kinder redeten. Nach einer Weile kam er zurück, um Bericht zu erstatten.
»Hast du was gehört?«, fragte sie.
»Nichts.«
»Nichts?«
Er schüttelte den Kopf.
»Du bist mir vielleicht ein Spion. Zu nichts zu gebrauchen.«
»Mr Duggan ist drüben bei den Kühen. Trix ist mitgegangen, um sich die Kälber anzuschauen. Und Mrs Duggan ist in der Küche am Kochen. Mit dem Baby. Die anderen sind draußen im Hof.«
»Und?«
»Nichts und. Nichts zu belauschen. Mrs Duggan wird ja wohl kaum mit dem Baby tratschen, oder? Sie war keine einzige Minute mit Mr Duggan allein.«
Er hatte eine triumphierende Miene aufgesetzt, also musste er etwas herausgefunden haben. »Na los, rück schon raus damit!«
Er zauberte ein Exemplar der Lokalzeitung hinter dem Rücken hervor. »Die hier«, sagte er. »Die ist von heute. Mr Duggan hat sie heute früh sofort im Dorf geholt. Und dann hab ich beobachtet, wie er sie in den Stapel fürs Brennmaterial gesteckt hat.«
Sie riss ihm die Zeitung aus der Hand. Die Buchstaben verschwammen ihr vor den Augen und stellten sich dann wieder scharf, während sie
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