Ein reiner Schrei (German Edition)
Konfetti. Shell schloss die Augen. Irgendwo in einem Labor von Cork lagen die beiden Babys nebeneinander auf einem Tisch. Ein Mann mit Mundschutz stellte Dinge mit ihnen an. Shell sah Spritzen, Scheren, Nadeln. Fäden, Schläuche, Tupfer. Vier blitzblaue Augen.
Mrs Duggan hatte ihnen eingeschärft das Haus nicht zu verlassen. Das gesamte Dorf war in Aufruhr.
Der Himmel war klar und ruhig. Die tief stehende Wintersonne fiel ins Zimmer und auf die Bettdecke.
Shell drehte sich zwischen all den Zeitungsschnipseln auf den Bauch.
»Mal etwas, Trix. Bitte. Mal mir etwas auf den Rücken.«
»Was denn?«
»Egal was. Was du magst.«
Sie spürte Trix’ Finger unten am Rücken, dann glitten sie hinauf zwischen ihre Schulterblätter.
»Was ist das?«, sagte Trix herausfordernd. »Rat mal.«
»Weiß nicht.«
»Rate!«
»Ein Baum?«
»Nein.«
»Schlangen?«
»Nein. Rat weiter.«
»Weiß nicht. Was denn?«
»Es ist das Meer. Mit Fischen. Und Superintendent Molloy. Der ist hier.« Shell fühlte Trix’ Daumennagel im Kreuz. »Am Meeresgrund. Ertrunken. Sie fressen ihn alle auf.« Ihre Finger wanderten zu den Schulterblättern hoch. »Und hier ist der Himmel. Und das hier ist Rosie, ihr wachsen Flügel.«
Unten knallte eine Tür zu. Mrs Duggan war vom Einkaufen in der Stadt zurück.
Shell ging hinunter, um ihr beim Einräumen zu helfen. Als sie in die Küche kam, blickte Mrs Duggan auf und schnitt eine Grimasse. Vier Taschen mit Sachen aus dem Supermarkt deckten den Küchenboden zu.
»Diese Mrs McGrath«, schnauzte Mrs Duggan. »Die steht mir echt bis hier!«
»Was hat sie denn getan?«
»Es geht nicht darum, was sie getan hat, sondern was sie sagt. Sie ist wie eine Giftwolke.«
Von einer Person, die der Familie nahesteht.
»Und was sagt sie?«
Mrs Duggan griff nach einer der Taschen und packte Waschpulver, Putzmittel und Schwämme aus.
»Das kann man unmöglich wiederholen.«
Die Packung Schwämme fiel zu Boden. Shell hob sie auf, öffnete den Schrank unter der Spüle und legte sie hinein. »Was denn? Was hat Mrs McGrath gesagt?«
»Willst du es wirklich wissen?«
Shell nickte.
»Sie brüstet sich damit, dass sie dein Unglück vorausgesehen hätte, schon vor Jahren.«
Shell dachte an die hämischen, bösen Augen in dem spärlich erleuchteten Laden und wie sie Dads alten Mantel angestarrt hatte.
»Aber es ist noch schlimmer, Shell. Sie behauptet zu wissen, wer der Vater ist. Sie will euch zusammen gesehen haben. In einer eindeutigen Situation, wie sie sich ausdrückt.«
Shell erstarrte. Nackt in Duggans Feld. Nackt in den Wellen. Wann hat die alte Nebelkrähe uns gesehen? Wann? »Tatsächlich, Mrs Duggan?« Ihre Stimme blieb ganz ruhig. »Und wen hat sie angeblich gesehen?«
Mrs Duggan legte ein Stück Schinken in den Kühlschrank und schloss die Tür. »Wen? Ha! Du wirst es nicht glauben. Du wirst es einfach nicht glauben!«
Declan?
Mrs Duggan lehnte sich gegen den Kühlschrank. »Da lachen selbst die Hühner.«
»Wer ist es, Mrs Duggan?«
»Pater Rose. Ausgerechnet er.«
Shell starrte sie verdutzt an.
»Eindeutige Situation? Also bitte. Sie hat irgendwann mal beobachtet, wie er dich in seinem Wagen mitgenommen hat. An einem Regentag.«
»Pater Rose?« Shell zwang sich zu einem Lachen und wandte sich ab. Die Rufschädigung seiner Person. Seines Namens. Seiner Geistlichkeit. Es war, als würde man Jesus vorwerfen mit dem gelähmten Mädchen zu schäkern.
»Shell«, sagte Mrs Duggan. »Ich will nicht neugierig sein. Aber denkst du nicht …«
»Was?«
»Und wenn es nur ist, um den Klatsch und Tratsch zu beenden. Denkst du nicht, dass du sagen solltest, wer der Vater ist?«
Shell starrte vor sich hin. Shell stinkt wie ein kleiner Köter …
»Ich weiß, dass du versuchst ihn in Schutz zu nehmen. Aber denk mal drüber nach. Hat er das verdient?«
Shells Mund klappte auf. Nein, Mrs Duggan. Hat er nicht. Statt es zu sagen, schüttelte sie den Kopf und trat den Rückzug nach oben an. Sie warf Trix und Jimmy aus dem Zimmer. Sie räumte die Zeitungsschnipsel fort. Sie machte die Betten. Es war um die Mittagszeit und draußen war kaum jemand unterwegs: ein guter Moment, um sich ins Dorf zu schleichen, wenn sie wollte. Sie konnte sich unsichtbar machen. Bei McGrath würden die Rollläden heruntergelassen sein und das GESCHLOSSEN-Schild hing an der Tür. Sie wäre mitten auf der Hauptstraße, ohne von jemandem gesehen zu werden. Vielleicht würde irgendwer aus dem Pub kommen, doch sie würde ihr
Weitere Kostenlose Bücher