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Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
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wollten, wie Sie und andere Gebildete im Jahre 1887 über die Gesellschaftsordnung und ihre Zukunft dachten. Überall traten damals wirtschaftliche und soziale Unruhen auf, in denen die Unzufriedenheit aller Bevölkerungsklassen mit den gesellschaftlichen Mißständen ihren Ausdruck fand, und die das allgemeine Elend der Menschheit kündeten. Ihre Zeitgenossen müssen wenigstens klar erkannt haben, daß diese Tatsachen die Vorboten irgendwelcher großen Umwandlungen waren.“
    „Das erkannten wir in der Tat ganz klar“, erwiderte ich. „Wir fühlten, daß die Gesellschaft ihren Anker verlor und in Gefahr stand, ein Spiel der Wellen zu werden. Wohin sie treiben würde, vermochte niemand zu sagen, aber alle fürchteten die Klippen.“
    „Nichtsdestoweniger“, versetzte Doktor Leete, „wä re die Richtung der Strömung vollkommen deutlich zu erkennen gewesen, wenn man sich nur die Mühe genommen hätte, sie zu beobachten. Übrigens trieb die Strömung die Gesellschaft nicht auf Klippen, sondern in tieferes Fahrwasser.“
    „Zu meiner Zeit“, entgegnete ich, „sagte ein volkstümliches Sprichwort, daß die Herren am klügsten sind, wenn sie vom Rathaus kommen. Jetzt werde ich zweifellos die Wahrheit dieses Spruches besser denn je zuvor verstehen. Als ich mich zu meinem langen Schlafe niederlegte, sah ich die Zukunft der Gesellschaft in so düsterem Lichte, daß ich nicht überrascht gewesen wäre, wenn ich heute vom Dache Ihres Hauses auf ein wüstes, moosbewachsenes Trümmerfeld herabgeblickt hätte und nicht auf diese herrliche Stadt.“
    Mit ge spannter Aufmerksamkeit hatte mir Doktor Leete zugehört. Als ich zu sprechen aufhörte, nickte er nachdenklich vor sich hin.
    „Was Sie da soeben gesagt haben“, bemerkte er, „muß als eine höchst wertvolle Rechtfertigung Storiots gewürdigt werden. In seiner Geschichte Ihres Zeitalters hat er eine Schilderung der hoffnungsarmen und wirren Ideen gegeben, die damals vorherrschend gewesen sein sollen. Man hielt diese Schilderung gewöhnlich für übertrieben. Daß eine Übergangszeit wie die damalige voll von Aufregung und Besorgnissen sein mußte, war übrigens in der Tat zu erwarten. Da jedoch die Tendenz der wirkenden Kräfte klar zutage trat, so hätte man glauben sollen, daß eher Hoffnung als Furcht die Gemüter beherrscht hätte.“
    „Sie haben mir noch nicht gesagt, welche Antwort Sie auf das Rätsel gefunden haben“, erinnerte ich. „Ich brenne darauf zu hören, wie die natürliche Entwicklung die Dinge gleichsam auf den Kopf gestellt hat, so daß sie in meiner Zeit und trotzdem im Gegensatz zu ihr den Frieden und Wohlstand vorbereitete, deren Sie sich jetzt zu erfreuen scheinen.“
    „Entschuldigen Sie“, versetzte mein Wirt, „rauchen Sie vielleicht?“ Erst nachdem unsere Zigarren angezündet waren und gut zogen, fuhr er fort: „Sie sind wie ich selbst sicher mehr zum Reden als zum Schlafen aufgelegt. Da kann ich vielleicht nichts Besseres tun, als zu versuchen, Ihnen von der heutigen Wirtschaftsordnung eine Vorstellung zu geben, die wenigstens den Eindruck verscheucht, als ob diesem Entwicklungsprozeß etwas ganz Geheimnisvolles anhafte. Die Bostoner Ihrer Tage standen im Rufe, große Frager zu sein. Ich will mich meiner Abkunft würdig zeigen, indem ich mit einer Frage an Sie beginne. Was würden Sie wohl als den hervorstechendsten Zug der Arbeiterunruhen in Ihrer Zeit bezeichnen?“
    „Nun, die furchtbaren Streiks natürlich“, erwiderte ich.
    „Das stimmt: aber was machte die Streiks so furchtbar?“
    „Die großen Arbeiterorganisationen.“
    „Und weshalb entstanden diese großen Arbeiterorganisationen?“
    „Die Arbeiter erklärten es für notwendig, sich zu organisieren, um den großen Betriebsgesellschaften gegenüber zu ihrem Rechte zu kommen“, erwiderte ich.
    „Das trifft zu“, sagte Doktor Leete. „Arbeiterorganisationen und Streiks waren lediglich eine Folge der Konzentration des Kapitals, das sich in größerem Maße als je zuvor aufgehäuft hatte. Ehe diese Konzentration begann, hatte der einzelne Arbeiter dem Unternehmer gegenüber eine verhältnismäßig wichtige und unabhängige Stellung. Das dauerte so lange, als Handel und Industrie von unzähligen kleinen Geschäften mit kleinem Kapital betrieben wurden statt von einer kleinen Anzahl großer Unternehmungen mit großem Kapital. Ein kleines Kapital oder eine neue Idee reichten aus, daß jemand ein eigenes Geschäft gründen konnte. Daher verwandelten sich beständig

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