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Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
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Wollte man jedoch annehmen, daß unsere Unterhaltung besonders gezwungen und schwierig gewesen wäre, so würde man sich irren. Ich glaube wirklich, daß die Menschen sich unter sogenannten unnatürlichen, das heißt ungewöhnlichen Umständen am allernatürlichsten benehmen. Solche Umstände verbannen zweifellos geradezu alles Gekünstelte. Jedenfalls weiß ich, daß meine Unterhaltung mit den Vertretern einer anderen Zeit und Welt sich durch so edle Aufrichtigkeit und Freimütigkeit auszeichnete, wie sie nur selten die Frucht einer langen Bekanntschaft ist. Ohne Zweifel trug der feine Takt meiner Gastfreunde viel dazu bei. Natürlich konnten wir uns von nichts anderem unterhalten als von dem seltsamen Ereignis, das mich unter sie geführt hatte. Da jedoch meine Wirte ihr Interesse daran offen und gerade aussprachen, so ward der Gegenstand zu einem guten Teil des Wunderbaren und Unheimlichen entkleidet, das so leicht die Oberhand hätte gewinnen können. Ihr Takt war so vollendet, daß man sich versucht fühlen konnte, zu glauben, es sei etwas Alltägliches für sie, sich mit Leuten zu unterhalten, die aus einem anderen Jahrhundert zu ihnen verschlagen wurden.
    Was mich selbst anbetrifft, so kann ich mich nicht erinnern, daß mein Geist je lebendiger und schärfer, meine seelische Empfänglichkeit feiner und tiefer gewesen wäre als an jenem Abend. Natürlich will ich damit nicht sagen, daß mich das Bewußtsein meiner wunderbaren Lage auch nur für einen Augenblick verlassen hätte. Es äußerte sich jedoch besonders in einer fieberhaft gehobenen Stimmung, in einer Art geistigen Rausches {5} .
    Edith Leete beteiligte sich nur wenig an der Unterhaltung; aber wenn hin und wieder ihre Schönheit mit magnetischer Gewalt meine Blicke auf sich zog, so fand ich, daß ihr Auge unverwandt, wie selbstvergessen, fast wie verzaubert, an mir hing. Offenbar hatte ich ihr Interesse im höchsten Grade erregt, und wenn sie ein Mädchen mit reicher Phantasie war, so konnte das wahrhaftig nicht wundernehmen. Wohl mußte ich denken, daß Neugierde der Hauptgrund ihres Interesses war, allein das hätte keinen so tiefen Eindruck auf mich gemacht, würde Edith Leete weniger schön gewesen sein.
    Doktor Leete sowohl wie die Damen schienen sich ungemein für meine Schilderung der Umstände zu interessieren, unter denen ich mich in meinem unterirdischen Zimmer zur Ruhe begeben hatte. Alle hatten ihre Vermutungen, wie es wohl gekommen sein möge, daß man mich dort vergessen konnte. Schließlich einigten wir uns in einer Annahme, die eine recht plausible Erklärung hierfür bot, obgleich natürlich niemand sagen konnte, ob diese Annahme in allen ihren Einzelheiten zutraf. Die über dem Gewölbe gefundene Aschenschicht bewies, daß das Haus niedergebrannt war. Nehmen wir an, daß die Feuersbrunst in der nämlichen Nacht ausbrach, in der ich einschlief. Wir brauchen dann nur noch vorauszusetzen, daß Sawyer bei dem Brande oder durch einen damit zusammenhängenden Unfall das Leben verlor, das Weitere ergibt sich hieraus von selbst. Niemand außer ihm und Doktor Pillsbury wußte von dem Vorhandensein des Gemachs und meinem Schlafe darin. Doktor Pillsbury war aber noch in der nämlichen Nacht nach New Orleans übergesiedelt und hatte wahrscheinlich nie von der Feuersbrunst gehört. Meine Freunde und die Öffentlichkeit mußten folglich denken, daß ich meinen Tod in den Flammen gefunden hätte. Sogar eine Ausgrabung der Trümmer – sofern sie nicht sehr gründlich gewesen wäre – würde nicht zur Entdeckung des geheimen Gemachs unter den Grundmauern geführt haben. Eine gründliche Ausgrabung wäre allerdings nötig geworden, wenn man das Grundstück bald nach dem Brande wieder bebaut hätte. Die unruhigen Zeiten und die ungünstige Lage hatten jedoch wahrscheinlich einen Neubau verhindert. Aus der Größe der Bäume, die jetzt in seinem Garten an der Stelle meines Hauses standen, schloß Doktor Leete, daß der Boden dort seit mehr als einem halben Jahrhundert unbebaut geblieben war.

 
5. Kapitel
Vom Monopolkapitalismus zum Staatssozialismus
     
    Als im Laufe des Abends die Damen sich zurückgezogen und Doktor Leete und mich allein gelassen hatten, erkundigte sich dieser, ob ich Lust zum Schlafen hätte. Mein Bett erwarte mich, wenn ich müde sei, hätte ich jedoch Neigung, länger aufzubleiben, so wäre ihm nichts lieber, als mir Gesellschaft zu leisten. „Ich selbst bin ein Nachtvogel“, fügte mein Wirt hinzu, „und ohne mich der

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