Ein Sarg für zwei
Reißzähnen
herumzuhängen.
»Die Sonne
ist offiziell untergegangen«, verkündete Amy.
Das war eine
sehr gute Neuigkeit. Ich sah aus dem vorderen Fenster auf die Straße und
beobachtete, wie Butch auf das Haus zukam. Ich öffnete die Tür und ließ ihn
herein.
Butch wog
knapp dreihundert Pfund. Ähnlich wie bei einem Verteidiger beim Football
erlaubte ihm diese Körpermasse nur kurze, dafür aber umso schlagkräftigere
Einsätze. Bei längeren Strecken jedoch war er klar im Nachteil. Er hatte sich
eine Glatze rasiert und trug ein Ziegenbärtchen. Er hatte immer ein schwarzes
T-Shirt mit einem sinnfreien Spruch unter seiner Winterjacke an. Heute stand
darauf: »Gebrauchst du die Macht, gebrauch ich die Fäuste.« Butchs Ruf als
Vampirleibwächter war außerordentlich gut.
Außerdem
stand er auf Reality-Shows. Alles in allem wirkte der Mann recht überzeugend.
Nach dem,
was vorhin mit Thierry passiert war, hatte ich mit dem Gedanken gespielt, das
Haus überhaupt nicht zu verlassen, aber nun waren schon beinahe vier Stunden
ohne einen Zwischenfall vergangen, die Sonne war untergegangen, und ein
schneller Blick in meine Scherbe zeigte, dass meine Augen wieder normal
geworden waren. Butch gab grünes Licht für unseren Ausflug.
Ich wartete
darauf, ob sich wieder Nebel über mich senken würde, doch es passierte nichts.
Mein Kopf war ganz klar.
»Wonach
suchen wir?«, fragte ich.
»Dessous«,
erwiderte Amy. »Barry hat nächste Woche Geburtstag.«
»Ach, und
der trägt gern Dessous? Das wusste ich ja gar nicht. Was ist denn seine
Lieblingsfarbe?«
»Doch nicht
für ihn, Dummerchen. Für mich.«
»Pass nur
auf, dass du nicht aus Versehen dein ›Thierry ist ein heißer Typ‹-T-Shirt trägst.
Er könnte das missverstehen.«
Sie errötete
und warf Butch einen Seitenblick zu. »Können wir das nicht vergessen?«
»Einverstanden.
Ist schon vergessen.« Dass sie in Thierry verknallt war, nervte mich nicht
mehr, sondern amüsierte mich eher. Dass sie deswegen so verlegen war, machte es
nur noch komischer.
»Du bist
verheiratet, Amy«, stellte Butch glasklar fest. »Du solltest dich nicht nach
anderen Männern umsehen.«
»Vielen Dank
für deine Meinung«, erwiderte Amy trocken und zog ihren Wintermantel an. »Nicht
dass ich dich etwa darum gebeten hätte.«
Butch zuckte
unbeeindruckt mit den massigen Schultern. »Ich finde, wenn man verheiratet ist,
sollte man nicht nach jemand anderem Ausschau halten. Das ist irgendwie
falsch.«
Amy musterte
mich. »Sarah geht mit einem verheirateten Mann aus. Wie findest du denn das?«
»Das ist
etwas ganz anderes«, sagte ich schnell. »Können wir jetzt gehen? Bitte! Bitte?«
Thierrys
Versprechen, seine Ehe mit Veronique annullieren zu lassen war momentan nicht
mehr als ebendas, ein Versprechen. Ich würde diese Neuigkeit niemandem
mitteilen, bis es nicht eine echte Neuigkeit war. Dann allerdings würde ich es
von allen Dächern schreien.
Doch das war
Zukunftsmusik. Im Moment hatte ich mehr als genug mit der Gegenwart zu tun.
Eine
Gegenwart, in der ich mit meiner besten Freundin Dessous kaufte, während mein
verheirateter Freund nach der Hexe suchte, die mich mit einem widerlichen Fluch
belegt hatte.
Wenn das
nicht wahrhaft romantisch war.
Bei jedem
Schritt durch mein Lieblingseinkaufszentrum im Herzen Torontos, das Eaton
Center, fragte ich mich:
Fühle ich
mich gut?
Will ich
jemanden beißen?
Jedes Mal
lautete die Antwort: Ja, ich fühle mich gut, und nein, ich will niemanden
beißen. Ich fühlte mich absolut normal. Es war offenkundig, dass mein Problem
ein nur vorübergehender Zustand war, mit dem ich klarkommen würde, insbesondere
wenn Thierry Stacy aufspürte.
Also
gestattete ich mir, mich ein bisschen zu entspannen. Nur ein bisschen.
Ich war seit
einigen Wochen nicht in der Passage gewesen. Hauptsächlich deshalb, weil ich
absolut pleite war.
Was war
Schaufensterbummeln ohne die Chance, etwas zu kaufen? Klar, wenn ich Thierrys
Geld annehmen würde, hätte ich wahrscheinlich jeden Tag einkaufen gehen können.
Ein Teil von mir wollte das. Ein Teil von mir wollte den kompletten
Kleiderschrank ersetzen, der bei der Explosion meiner Wohnung in die Luft
geflogen war. Doch mein anderer Teil wollte das Richtige tun. Selber Geld
verdienen, obwohl ich nicht so genau wusste, wie ich das anstellen sollte, und
mir von meinem eigenen Geld kaufen, was ich brauchte.
Es war der
schwierigere Weg, klar doch, aber wenigstens verlieh er mir ein Gefühl von
Stolz.
Es
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