Ein schicksalhafter Sommer
Fortgehen aufzuschieben. Doch der Bauer hatte ihm die Entscheidung abgenommen, indem er ihm gekündigt hatte. Sonst wäre Robert nachher doch wieder schwach geworden und hätte wieder andere Entschuldigungen gefunden, um hierzubleiben. Aber wie sollten Katrin und ihre Mutter das alles hier alleine schaffen? Es war unmöglich. Robert verfluchte sich und seinen kranken Geist. Heute Abend würde er sich von Katrin verabschieden, das Schwerste, was er je hatte tun müssen und morgen früh, wenn alle noch schliefen, würde er dann aufbrechen. Doch jetzt musste er noch etwas erledigen. Er machte sich auf die Suche nach Otto und fand ihn auch gleich.
Otto kickte missmutig einen dicken Schotterstein über den Hof. Robert stellte seinen Schuh darauf und Otto blickte zu ihm hoch.
„Bist du wütend auf mich?“ Vorsichtig sah Otto zu seinem Freund auf.
„Warum soll te ich wütend auf dich sein?“, fragte Robert verwundert zurück.
„Weil du denkst, du müsstest gehen, weil ich unser Geheimnis verraten habe. Aber Mama hat es schon gewusst, ich bin also nicht schuld.“
Also wussten sie das jetzt auch schon. Aber das machte jetzt auch nichts mehr. Er lächelte beruhigend. „Nein, Otto, dass weiß ich doch. Du kannst nichts dafür, dass ich fort muss.“ Robert würde auch Otto vermissen, seinen ersten und einzigen Freund. „Otto, ich hab eine Überraschung für dich“, wechselte er das Thema.
„Wirklich?“
„Ja, so eine Art Abschiedsgeschenk.“
„Robert, ich will aber nicht, dass du gehst.“
„Ich muss aber, Otto.“ Robert ging vor dem Jungen in die Hocke. „Sei nicht traurig, ja?“
Ottos Unterlippe zitterte verdächtig, aber er beherrschte sich. Dafür schlang er Robert die Arme um den Hals.
Gerührt erwiderte Robert die Umarmung, dann riss er sich zusammen. „Na, komm, Otto. Sollen wir dein Geschenk holen?“, versuchte er den Jungen aufzuheitern.
Otto zuckte nur die Achseln.
„Willst du mein Geschenk nicht haben?“
„Ich hätt lieber, du bliebest hier.“ Fragend sah er Robert an, doch dieser schüttelte bedauernd den Kopf. „Was ist es denn für ein Geschenk?“ , fragte er schließlich schniefend.
„Das sag ich dir nicht. Es ist eine Überraschung. Also, kommst du jetzt mit?“
Jetzt doch ein wenig neugierig und aufgeregt, nickte Otto begeistert und gemeinsam verließen sie den Hof.
Katrin lief zügig auf die Haustür zu und hielt mit einer Hand ihr Kopftuch unter dem Kinn fest. Das ohnehin trübe Wetter hatte sich, seit sie das Dorf verlassen hatte, in einen dicken Platzregen verwandelt. Die Pappeln bogen sich im Wind und dicke Wolken verdunkelten den Himmel. Man sollte nicht meinen, dass es erst Mittag war.
Ihre Mutter kam aus dem Stall und rannte durch den dicken Regen auf sie zu.
„Was ist los, Mama? Geht es Papa so schlecht? Der Arzt hat noch einige Patienten, doch er kommt, sobald er kann“, rief sie ihrer Mutter entgegen. Als sie das verheulte Gesicht ihrer Mutter sah, blieb ihr fast das Herz stehen. „Was ist, Mama?“, hauchte sie. „Ist Papa...“
„Ach, Katrin, Katrin“, schluchzte ihre Mutter, „der Otto ist verschwunden.“
„Mama, weine doch nicht.“ Verwirrt sah Katrin ihre Mutter an. Diese war völlig außer sich. „Er wird sich schon unterstellen.“
„Nein, nein, du verstehst nicht. Der Robert muss ihn mitgenommen haben. Ich hab den ganzen Hof abgesucht. Sie sind weg. Beide.“
Wo sollte Robert mit Otto hingegangen sein? Und warum?, überlegte Katrin. Beunruhigt dachte sie an den gestrigen Abend und ihr wurde flau.
„Katrin, alles was wir angenommen haben, ist wahr“, weinte Luise. „Otto hat mir erzählt, dass Robert unser fehlendes Beil im Wald versteckt hatte. Das Beil, das verschwunden war, seit der Sache mit dem Hund. Otto sagt, es war voller Blut und es klebten Haare daran, Katrin. Blonde Haare.“
Katrins Magen verkrampfte sich. Hennes hatte dunkles Fell. Aber der Karl, der war blond. „Mein Gott!“, stieß sie schrill aus.
„Und Otto hat gesagt, Robert wäre so komisch gewesen“, brachte Luise kaum verständlich über die Lippen. „Otto dürfe es niemandem verraten, sonst würde er, Robert, weggehen müssen. Damit hat er ihm gedroht.“ Die Regentropfen rannen der völlig durchnässten Luise übers Gesicht, doch sie schien nichts mehr wahrzunehmen. Sie stand einfach nur da.
„Komm, Mama.“ Am ganzen Leib zitternd vor Angst führte Katrin ihre Mutter ins Haus. „Du bleibst jetzt hier und ich geh und such die beiden.“ Sie
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