Ein schicksalhafter Sommer
gleich Klaus erzählen.“ Unterbrochen von Hüpfern rannte Otto davon.
Robert sah dem Jungen nach und versuchte sich zu erinnern, ob er mit acht Jahren jemals so unbeschwert gewesen war. Er glaubte es nicht. Wenn er als Kind gerannt war, dann war es auf der Flucht vor seinem knüppelschwingenden Vater gewesen. Schnell drängte er die traurigen Erinnerungen zurück. Er wollte sich seine gute Stimmung nicht selbst verderben. Lieber dachte er an Ottos freudestrahlendes Gesicht, das dankbar zu ihm, Robert, aufgesehen hatte. Er freute sich fast genauso wie der Junge.
Der Stammhalter der Nessels konnte es nicht erwarten. Sobald sie aus dem Gottesdienst heimgekehrt waren, hatte er sich auf die Suche nach Robert gemacht. Nun standen sie gemeinsam an dem kleinen See.
„Ich seh mich schon mit den Enten um die Wette schwimmen.“ Otto lachte aufgedreht.
„Also gut, Otto, du hast es dir also nicht anders überlegt?“
„Du etwa?“ , rief Otto erschrocken.
„Nein, nein. Keine Sorge. Dann lass uns mal anfangen.“
Das ließ sich Otto nicht zweimal sagen. Er riss sich die Kleidung runter und sah seinen Schwimmlehrer an. Am Ufer wartete er ungeduldig darauf, dass sie nun endlich mit dem Schwimmunterricht beginnen würden.
Als auch Robert sich bis auf seine Unterhosen ausgezogen hatte, ging er ins Wasser und wartete. Als der Junge sich nicht rührte, sah er ihn fragend an. „Was ist? Worauf wartest du?“
Mit gerötetem Gesicht stand Otto am Ufer. „Ich trau’ mich nicht.“ Er errötete noch stärker.
„Jetzt komm. Ich pass schon auf, dass nichts passiert. Oder glaubst du, ich lass dich ertrinken?“ Otto sah Robert unschlüssig an. Dieser hob ungeduldig die Augenbrauen und stemmte die Hände in die Hüften. Anscheinend war Ottos Furcht, ihn noch länger warten zu lassen, stärker als die vor dem Wasser, denn schließlich überwand er seine Angst und ging vorsichtig in den See.
„Na also. Jetzt komm her und fang an.“
„Und wie?“
Tja, wie bringt man jemandem das Schwimmen bei? Schließlich machte Robert ein paar Züge, und stellte sich dann wieder vor Otto. „Jetzt mach es nach und schwimm auf mich zu.“
Kurz darauf schüttelte er den Kopf. „Nein, so wird das nichts.“ Er ging zu dem Jungen und stützte dessen Bauch mit der Hand. „Mach jetzt mal die Bewegung.“
Nach ein paar Minuten war er zufrieden. „Also gut. Und jetzt ohne Stütze.“ Er zog die Hand weg und Otto versank im Wasser. Panisch strampelte er herum und schrie, bis er merkte, dass er an dieser Stelle noch stehen konnte.
„Meine Güte, Junge. Reiß dich zusammen, du Memme.“ Robert sah erstaunt auf ihn hinunter. „Kreischst wie ein Mädchen.“
„Tu ich überhaupt nicht. Du wolltest aufpassen, und ich wär’ fast ertrunken. Und ich bin keine Memme. Außerdem darf man so was nicht zu kleinen Kindern sagen“ , schrie Otto empört.
Katrin lief langsam den Feldweg entlang. Zuhause war die Stimmung alles andere als heiter. Papa hatte heute nach der Kirche mal wieder freiwillig auf seinen Frühschoppen im Ochsen verzichtet. Mama war daraufhin den ganzen Heimweg so beunruhigt gewesen, dass sie darauf bestanden hatte, Papa solle sich unbedingt noch etwas hinlegen, sobald sie wieder zu Hause waren. Oma Mine hatte Mama gesagt, sie mache ihren Mann mit ihrem Getue nur noch kränker, und jetzt waren sie alle schlecht gelaunt.
Auch Katrin war niedergeschlagen. Aber diesmal nicht wegen Papas Krankheit oder ihrer Probleme, den Hof zu halten. Nein, in letzter Zeit war sie öfter trüber Stimmung. Vielleicht lag es auch daran, da ss Sofia nicht mehr da war. Auch wenn sie häufig verschiedener Meinung waren, so war ihre Schwester doch die Einzige, mit der sie erzählen konnte. Und die Einzige, die in ihrem Alter war. Mit ihren Eltern und ihrer Oma konnte sie weiß Gott nicht solche Gespräche führen, wie sie das mit Sofia tat. Doch dazu hatte sie jetzt kaum noch Gelegenheit. Immer öfter fühlte Katrin sich, als wäre sie genauso alt wie ihre Mutter. Und was Sofia ihr letztens auf dem Heimweg gesagt hatte, kam ihr immer wieder in den Sinn. Sie würde immer älter werden, und das Leben würde an ihr vorbei laufen. Sofia würde Kinder bekommen, um die sie sich kümmern konnte, die sie herzen und großziehen konnte. Und sie, Katrin, würde stattdessen hier zwischen alten Leuten selber alt und vertrocknet werden, ohne sich jemals jung gefühlt zu haben oder die Freuden des Lebens genossen zu haben. Sie merkte, wie sich ein Kloß in
Weitere Kostenlose Bücher