Ein schicksalhafter Sommer
selbst überlassen. Wir wohnen so weit ab vom Schuss, dass er praktisch keine Freunde hat. Außer Klaus. Doch der ist zwei Jahre jünger und wenn Otto mal Zeit zum Spielen hat und es schafft, zu den Frischmanns zu gehen, darf Klaus die Hälfte der Zeit nicht, weil er wiederum helfen muss. Armer Otto. Immer allein, ohne Freunde. Das ist auch nicht gut. Ich hatte wenigstens immer meine Schwester.“
Robert lauschte ihren Worten und dachte an seine Kindheit. Vom Alleinsein, da konnte er ein Lied singen. Die meisten Kinder hatten nie mit ihm spielen wollen. Und nach den Unfällen -er zog es vor, die Zwischenfälle, die er verursacht hatte, so zu nennen-, da durften sie es auch nicht mehr. Unbewusst seufzte er auf. Dann merkte er, was er getan hatte und sah schnell zu der Frau hinüber, die ihn begleitete. Sie blickte ihn fragend an.
„Ja“, sagte er, „immer allein zu sein ist nicht gut für einen kleinen Jungen.“ Man brauchte sich nur anzusehen, was aus ihm geworden war.
Ein paar Wochen später saß Luise auf der Bank im Garten und beobachtete ihren Mann. „Willst du nicht lieber rein gehen, Hermann?“ , sagte sie schließlich. „Im Haus ist es kühler.“
„Ise, ich sitz hier mit dir im Schatten. Es ist angenehm.“
„Ich dachte ja auch nur, weil der Arzt gesagt hat, die Hitze wäre nicht gut für dich. Schon genug, dass du die Woche über in der prallen Sonne arbeiten musst.“ Besorgt sah Luise ihren Gatten an.
„Luise, ich bin achtundfünfzig Jahre alt“ , begann Hermann traurig. „Soll ich mich jetzt für den Rest meines Lebens ins Bett legen? Der alte Jeckel ist über siebzig und hilft seinem Sohn noch tüchtig auf dem Hof mit.“
„Hannes Jeckel ist auch nicht krank! Dein Vater hatte dasselbe Leiden wie du und sieh, wohin es ihn gebracht hat. Der Mann war erst fünfzig, als er gestorben ist.“ Deprimiert wandte Luise den Kopf ab.
„Was soll ich denn machen, meine Ise?“ Hermann drückte seine Frau kurz an sich. „Ich schone mich doch schon, so gut ich kann. Ein Greis verrichtet schwerere Arbeit als ich.“ Er ließ seine Frau los und fuhr bitter fort. „Das ist immer noch mein Hof und ich will nicht, da ss andere meine Arbeit machen, während ich auf meinem Hintern sitz und die Zeit totschlage wie ein altes Pferd auf Gnadenbrot.“
„Aber Hermann, du arbeitest doch! Warum bist du nur so unvernünftig? Selbst am letzten Sonntag hast du gearbeitet. Wenn du dich nicht endlich schonst, dann ist es endgültig zu viel für dein schwaches Herz. Und dann bist du fort, Hermann. Und dann?“ Luise stieß verzweifelt den Atem aus. „Du kannst mich doch noch nicht alleine lassen.“
Der letzte Satz seiner Frau, so leise gesprochen, stach Hermann ins Herz. Er wusste es ja selber, dass er sich mit seinem Verhalten nichts Gutes tat. Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. Die trübe Stimmung seiner Frau bereitete ihm Unbehagen. Doch mit Erleichterung sah er die Rettung nahen. „Ah, da kommt die Katrin“, teilte er seiner Frau mit und rief seine Tochter zu sich. „Komm, Kind, setz dich zu uns.“ Hermann rückte einen Stuhl zurecht. Und lenk deine Mutter ab, dachte er im Stillen.
Lächelnd setzte sie sich, doch als sie das Gesicht ihrer Mutter ansah, fragte sie besorgt : „Mama, was ist denn?“ Luise war den Tränen nahe.
„Ach“, winkte diese ab und versuchte tapfer, die Tränen zurückzuhalten, doch dann blickte sie in das mitleidige Gesicht ihrer Tochter und schluchzte auf. „Ach, dein Vater macht mir solche Sorgen.“
Hermann brummelte vor sich hin.
Luise stockte kurz, sprach dann aber weiter. „Und er will einfach nicht hören. Sag du ihm, da ss er nun einmal kein junger Spund mehr ist.“ Luise kramte in ihrer Kitteltasche nach einem Taschentuch und als sie fündig wurde, schnäuzte sie sich kräftig die Nase. „Du hättest einmal hören sollen, wie er mit mir geschimpft hat, als ich den Knecht zum Schmied geschickt habe, anstatt ihn selber gehen zu lassen. Oder wenn ich dem Robert einmal auftrage, an seiner statt den Stall auszumisten oder dem Milchmann beim Aufladen der Milch zu helfen. Oder wenn ich möchte, dass dein Vater nach dem Mittagessen ein Nickerchen hält und ich sage, dass er die Mittagshitze meiden soll. Immer bin ich dumm oder ein aufgeregtes Huhn oder was weiß ich alles. Nie sieht er ein, dass er unvernünftig ist.“ Sie wischte sich über die geröteten Augen. „Er kann nun mal nicht mehr alles machen. Dafür haben wir doch den Knecht, damit er uns
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