Ein schicksalhafter Sommer
einem zornigen Laut holte Kalter aus, um mit voller Wucht seine Faust in den Baumstamm zu rammen. Schwer atmend blieb er mit gesenktem Kopf vor dem Baum stehen. Der Wutausbruch schien vorüber, doch Sofia zitterte vor Schreck. Sie musste irgendeinen Laut von sich gegeben haben, denn plötzlich hob er den Kopf und sah in ihre Richtung. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Sofia stieg auf ihr Fahrrad und machte, das sie wegkam.
Sie hatte es gewusst, dass mit diesem Kalter nicht gut Kirschen essen war. Wer oder was immer ihn so erzürnt hatte, tat gut daran, ihm nicht in die Quere zu kommen. Der Mann hatte sie doch nicht alle. Sofia lief es kalt den Rücken runter, wenn sie an das Bild dachte, dass sich ihr gerade geboten hatte. Unbewusst fuhr sie noch schneller und bekam beinahe die Kurve nicht, als sie in den Hof einbog. Karl fuhr winkend an ihr vorbei und Sofia winkte abwesend zurück. Sie schob die unangenehmen Bilder von Kalter von sich und konzentrierte sich auf angenehmere Dinge. Jetzt galt es, sich von Katrin über den Nachmittag Bericht erstatten zu lassen. Sie stellte ihr Fahrrad an die Hauswand und betrat ihr altes Zuhause.
Im Esszimmer saßen alle beieinander und Luise goss gerade Tee ein. „So, Katrin, dann erzähl mal.“
„Ja, bitte, Katrin, erzähl . Und guten Tag zusammen.“ Sofia betrat das Zimmer und gesellte sich zu der Runde. Hermann saß neben Oma am Tisch, Otto trank ein Glas Johannisbeersaft und eine gut gelaunte Luise bewirtete eine etwas blass wirkende Katrin, die krumm und niedergeschlagen auf ihrem Stuhl saß.
„Ja, die Sofia“, rief Luise erfreut. „Kind, was machst du denn hier? Bist du alleine?“ Suchend sah sie hinter ihre Tochter.
„Ja, Mama, ich bin alleine gekommen.“ Sofia sah unsicher zu ihrem Vater, der aber nur an seinem Tee nippte. Dann sah sie mit angespannter Miene ihrer Mutter prüfend ins Gesicht. Was sie dort sah, schien ihr zu gefallen, denn die Anspannung wich von ihr und sie ging zum Tisch. „Da warst du also heute mit dem Karl unterwegs...“ Während sie sich auf einen Stuhl setzte, sah sie auffordernd ihre ältere Schwester an, die noch kein Wort über die Lippen gebracht hatte.
„Ja, das war ich. Und es war ganz nett“, ließ Katrin sich schließlich herab, lustlos zu antworten.
„Ganz nett.“ Luise klatschte in die Hände. „Dann war es bestimmt einmalig. Wenn man nämlich begeistert ist und Angst hat, allzu hoffnungsvoll zu klingen, dann spielt man das Erlebte herunter. Aber Kind, du brauchst dich doch hier im Kreise deine Familie nicht zu genieren. Es ist keinesfalls zu früh, an ernste Absichten beim Karl zu denken. Wo wart ihr denn?“
Katrin hätte am liebsten die Augen verdreht, aber das wagte sie sich dann doch nicht. Bei ihrer Mutter war jeder Widerspruch zwecklos, wenn sie sich in etwas verrannt hatte, also widersprach Katrin nicht. „Wir waren am Rhein, Mama.“
„Am Rhein! Wie romantisch!“ Luise lehnte sich verträumt in ihrem Stuhl zurück. „Hermann, weißt du noch, als du mit mir zum Rhein gefahren bist? Wie viel Jahre ist das jetzt schon her. Wie jung wir da noch waren.“ Wehmütig starrte Luise vor sich hin.
„Mama, wirklich!“, holte ihre Tochter sie in die Gegenwart zurück, „romantisch konnte ich es da nicht finden.“
„Und, kommt er denn bald wieder?“
„Ich weiß nicht.“ Abwesend rührte Katrin in ihrem Tee. Sie wünschte, sie hätte endlich die Möglichkeit, in Ruhe mit Robert sprechen zu können. Wo mochte er nur hingegangen sein? Hoffentlich war er wieder zurück, wenn sie die Kuh melken musste. Dann hätte sie die Möglichkeit, unbemerkt mit ihm zu sprechen.
„Katrin, huhu, hier sind wir.“ Sofia winkte mit der Hand vor Katrins Nase. „Du bist ja ganz in Gedanken.“
„Du warst auch immer in Gedanken versunken, als du gerade frisch in den Georg verliebt warst. Andauernd hast du dagesessen und warst in deine Tagträume vertieft, weißt du noch? Alles drehte sich um Georg“, neckte Luise ihre Tochter.
„Ja, natürlich weiß ich das noch. Da fällt mir ein, Georg sagt, am Erntedankfest gibt es dieses Jahr auch Tanz. Wusstet ihr das schon?“
„Ach, das weiß ich schon seit Wochen.“ Luise winkte ab. „Das hat mir die Hortmanns Maria erzählt. Bei denen findet das Erntedankfest doch dieses Jahr statt. Was glaubst du, wie ich mich darauf freu. Endlich kann ich mit deinem Vater wieder das Tanzbein schwingen, nicht, Hermann?“
Dieser gab nur einen grummelnden Laut von sich und
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