Ein Schlag ins Herz
er ihre fröhliche Stimme hören musste. Wie hatte sie fröhlich sein können ohne ihn? Was war falsch an ihm? Diese Frage hatte ihn seine gesamte Pubertät über beschäftigt. Den Klassenkameraden in der neuen Schule hatte er vorgelogen, seine Mutter sei gestorben – was für ihn in gewisser Weise ja auch zutreffend war.
Inmitten des Grundstücks, das Patrik betrat, thronte ein modernes Haus aus den Siebzigerjahren. Es war weiß verputzt und hatte große Panoramafenster. Auf dem Rasen standen überall gusseiserne Statuen auf Steinsockeln.
Hier war Beate aufgewachsen, in idyllischem Frieden.
Patrik nahm all seinen Mut zusammen, dann drückte er auf die Klingel. Er hatte allerdings keine Ahnung, ob jemand zu Hause war.
Dem gedämpften Gong folgte Stille. Kurz darauf hörte er jedoch Schritte auf dem Flur, dann ging die Tür auf.
Vor Patrik stand kerzengerade ein etwa sechzigjähriger Mann mit wachem Blick, der eine Anzughose und ein Hemd trug. Er strahlte Selbstbewusstsein und Autorität aus. Klaus Funkes Äußeres entsprach nicht Patriks Vorstellungen von einem bildenden Künstler, der sich einen recht guten Namen gemacht hatte.
»Ja bitte?«, fragte Klaus Funke.
»Ich bin Patrik Vasama.«
Die Miene des Mannes verfinsterte sich.
»Wer ist da?«, rief eine weibliche Stimme irgendwo in der Tiefe des Hauses.
»Niemand«, sagte der Mann und machte Anstalten, die Tür zu schließen.
Patrik griff nach der Türkante. »Ich möchte mit Ihnen reden. Ich möchte wissen …«
»Gehen Sie weg«, erwiderte der Mann, offensichtlich bereit, die Tür gewaltsam zuzudrücken. »Wir haben nichts miteinander zu reden.«
»Herr Funke, ich habe alles getan, um Beate zu retten. Ich hatte keine Chance, man hat mich niedergeschlagen. Ich konnte nicht mehr tun …«
»Lassen Sie die Tür los, oder ich rufe die Polizei!«
»Geben Sie mir fünf Minuten, danach sehen Sie mich nie wieder. Ich verspreche es Ihnen.«
Der Mann schlug die Tür zu.
Patrik stand da und sein Herz raste vor Wut.
Doch da öffnete sich die Tür erneut. Nun stand eine Frau vor ihm. Sie war etwas jünger als der Mann und hatte um die Augen und den Mund herum Ähnlichkeit mit Beate. So hätte Beate einmal ausgesehen.
»Birgit, misch dich da nicht ein!«, sagte Klaus Funke zu seiner Frau.
»Lassen wir ihn reden. Das sind wir Beate schuldig.«
Ihr entschiedener Ton ließ Klaus Funke verstummen und er begnügte sich damit, unübersehbar seinen Missmut zur Schau zu tragen.
»Bitte sehr«, sagte Birgit Funke und führte Patrik in das hohe Wohnzimmer, wo große moderne Gemälde an den Wänden hingen. Blendend helles Sonnenlicht fiel herein. Im Raum nebenan, der offenbar das Atelier war, stand ein unfertiges Bild. Die Farben waren wild auf die Leinwand gespritzt worden, der Unterschied zu den früheren Arbeiten war deutlich.
»Die Ärztin muss zur Verantwortung gezogen werden«, sagte Klaus Funke, noch bevor seine Frau oder Patrik die Gelegenheit hatten, etwas zu sagen. »Wir werden aktiv, sobald mein Anwalt die Stellungnahme von MSF erhalten hat. Ich verstehe nicht, was die da so lange trödeln.«
»Ich glaube nicht, dass Doktor Denaux vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden kann.«
»Ach ja? Sind sie gekommen, um diese Kurpfuscherin zu verteidigen?«
»Nein, aber …«
»Diese Frau entschied sich dafür, den schwarzen Fahrer zu versorgen, der Beates Tod verursacht hat. Mit welcher Begründung wird der Mörder verarztet, das Opfer aber nicht?«
Patrik zuckte leicht mit den Schultern. Eigentlich wollteer sagen, dass er den Obduktionsbericht schon zwei Experten vorgelegt hatte, aber er schwieg. Die Einschätzungen der Fachleute waren widersprüchlich gewesen. Eventuell hätte Beate gerettet werden können. Die Wahrscheinlichkeit, dass der schwarze Fahrer überlebte, war dennoch größer gewesen. Insofern hatte Sandrine die richtige Entscheidung getroffen. Schließlich ging es in der Medizin um Wahrscheinlichkeit und nicht um gefühlslastige moralische Entscheidungen. Aber hatte es für Sandrine eine Rolle gespielt, dass sie es mit der neuen Freundin ihres ehemaligen Freundes zu tun hatte? Patrik wollte nicht, dass Beates Eltern etwas von diesem Hintergrund erfuhren. Bei einem Gerichtsverfahren käme es allerdings ans Tageslicht.
»Was haben Sie da unten in Afrika überhaupt gemacht?«
»Wir haben die Auswirkungen des Uranabbaus auf die Umwelt untersucht.«
»Sind Sie auch einer von den Aktivisten, die Beate Flausen ins Ohr gesetzt haben?
Weitere Kostenlose Bücher