Ein Schlag ins Herz
Jochem, als sie das Hotelzimmer betraten. »Die blöde Kuh gefährdet das ganze Projekt!«
Herman legte seinen Koffer aufs Bett und öffnete ihn.
»Sandrine ist ein Risiko. Das wussten wir.«
Er nahm eine große Papierrolle aus dem Koffer und breitete sie aus. »Jeder konzentriert sich jetzt genau auf den Grundriss, damit sich später niemand unnötig verläuft.«
Timo Nortamo machte in einer Ecke des Wohnzimmers Platz für die Art-nouveau-Kommode aus Nussbaum, die längst hätte geliefert werden sollen. Er warf einen kurzen Blick auf seine Frau Soile, die mit dem Laptop auf dem Schoß auf der Couch saß. Sie war für »ein paar Urlaubstage« von Genf nach Brüssel gekommen und arbeitete nun die ganze Zeit. Wie es aussah, lief beim Cern immer ein wichtiges Projekt.
»Was für einen Sinn hat es, hierherzufliegen, um dich dann mit deinem Computer abzugeben? In Genf gibt es schließlich auch Strom, oder schluckt euer Teilchenbeschleuniger alles?«
Soile blickte nicht einmal auf. »Soll ich vielleicht putzen und deine Hemden bügeln?«
Timos Handy klingelte. Åsa.
»Die ICI D-Antwort in Sachen Andrus Reedla ist gekommen«, sagte sie.
Timo ging ins Schlafzimmer, um ungestört reden zu können.
»Der Name Andrus Reedla ist in der Datenbank einmal von der schwedischen Sicherheitspolizei angefragt worden«, sagte Åsa. »Das schwedische Atommüllunternehmen SKB hat routinemäßig alle Personen aufgelistet, die sich für einen Presserundgang zum Thema Atommülltransport auf der
MS Sigyn
angemeldet hatten. Die estnische Polizei hat ihn noch immer nicht in Estland aufgespürt.«
»Dieser Andrus Reedla scheint ein interessanter Mann zu sein«, sagte Timo und versprach, bald ins Büro zu kommen.
Soile schaute zur Tür herein und teilte mit, dass die Männer mit der Kommode gekommen waren. Als Timo an ihr vorbeiging, sah sie ihn spöttisch an.
»Irgendwie passend, dass du jedes Mal ins Schlafzimmer gehst, wenn Frau Björklund anruft. Die Stimme dieser Frau scheint weder für die Küche noch fürs Arbeitszimmer geschaffen zu sein.«
Dein Spott ist kein bisschen glaubwürdig, dachte Timo, beschloss aber, die Stichelei zu ignorieren und, nachdem die Möbelpacker die Kommode in ihre Ecke gestellt hatten, im Internet die neuesten Nachrichten zu lesen, bevor er aufbrach.
Er musste schmunzeln, als er folgende Überschrift auf dem Bildschirm sah:
Der Kreml ruft in Erinnerung, dass er sich auch für die außerhalb Russlands lebenden Russen verantwortlich fühlt.
Åsa hätte ihre Wette gewonnen. Die zur Überschrift gehörende Meldung ließ Timo jedoch sofort wieder ernst werden.
Die Ankündigung des Kreml, für die Lage der Estlandrussen Sorge zu tragen, nimmt konkrete Formen an, wenn heute Vertreter der russischen Jugendorganisation Naschi ein Lebensmittel-Hilfsprojekt in dem von der Arbeitslosigkeit am stärksten betroffenen russischsprachigen Gebiet in Nordostestland starten. Ziel der Organisation ist es, den Einsatz von Feldküchen der Fallschirmspringereinheiten Pihkowa in den nächsten Tagen bis in die Tallinner Stadtteile Lasnamäki und Mustamäki auszudehnen, wo ebenfalls eine russischsprachige Mehrheit lebt. Estnischen Regierungsquellen zufolge verletzt die Aktion von Naschi die staatliche Souveränität Estlands …
Die Drohgebärden wurden immer deutlicher, und als Timo an die mehr als dreißigtausend Russen in Finnland dachte, wurde ihm mulmig.
11
In den Gärten der Einfamilienhäuser im gediegenen Hamburger Stadtteil Wandsbek zwitscherten die Vögel. Die Hecken waren geschnitten, die Beete geharkt und sauber mit Steinen umgrenzt. Patrik bog von der Straße auf eine gekieste Zufahrt ein.
Immer wenn er in Deutschland war, spukte ihm seine Mutter im Kopf herum. Irgendwo in diesem Land lebte sie, möglicherweise noch immer in Berlin. Die SMS, die sie ihm in letzter Zeit geschickt hatte, und ihre Versuche, ihn telefonisch zu erreichen, beunruhigten Patrik, obwohl er eigentlich versuchte, seine Mutter zu vergessen. Was wollte sie von ihm? Warum konnte sie nicht einsehen, dass er nicht mit ihr reden wollte? Wie konnte eine Frau, die ihren Sohn verlassen hat, ihn im sensibelsten Alter von dreizehn Jahren in die Obhut von Verwandten gegeben hatte und zu ihrem neuen Mann nach Deutschland gezogen war, sich überhaupt noch Mutter nennen? Bis heute konnte er sich an das Gefühl erinnern, das ihn quälte, wenn seine Mutter mal wieder eine Postkarte geschickt hatte. Am schlimmsten waren die Anrufe gewesen, wenn
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