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Ein Schlag ins Herz

Ein Schlag ins Herz

Titel: Ein Schlag ins Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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war er? Und warum machte er sich um das Schicksal eines unbekannten Behälters Sorgen, in einer Situation, in der man um ganz andere Dinge besorgt sein musste?

34
    Neugierig betrachtete Anita das Plakat. Sie hatte solche Aushänge seinerzeit in Westdeutschland in Postämtern, Banken und anderen öffentlichen Einrichtungen gesehen. Kleine Fotos mit Gesichtern waren darauf gewesen, unter denen Namen standen: Mohnhaupt, Boock, Raspe, Baader, Ensslin   … Inzwischen wurden die RA F-Fahndungsplaka te als Faksimiles verkauft, aber dieses schäbige Exemplar war ein Original. Und es war nicht angenehm, es zu sehen.
    Trotzdem betrachtete Anita es genau. Es zeigte mehrere Reihen kleiner Schwarz-Weiß-Fotos von ernsten jungen Menschen mit großen Brillen und langen Haaren. Einige Gesichter waren per Hand durchgestrichen.
    Anitas Blick heftete sich auf das linke Bild in der untersten Reihe, auf einen jungen Mann mit Schnurrbart, hoher Stirn und dem Anflug eines schiefen, zynischen Lächelns. Darunter stand: GLADBACH, JÜRGEN.
    »Das waren Zeiten«, sagte eine tiefe Männerstimme in Anitas Rücken.
    An fast jeder anderen Wand wäre das Plakat ein geschmackloser Gag gewesen, aber nicht in der Wohnung von Jürgen Gladbach, der gerade mit zwei Teetassen auf einem Tablett aus der Küche kam. Er balancierte es mit der linken Hand, seiner einzigen. Der glatte Stumpf des rechten Oberarms lugte aus dem schwarzen T-Shirt -Ärmel heraus.
    Anita löste sich von dem Plakat, und Gladbach stelltedas Tablett auf einem großen, abgewetzten Koffer ab, der als Couchtisch diente.
    »Wie geht es Dietrich?«, fragte Gladbach und rührte in seinem Tee, während er sich auf einem Sitzsack niederließ. Sein Schnurrbart war grau geworden, aber auf seinen Lippen blitzte noch ein Hauch von dem zynischen Lächeln auf, das auf dem Fahndungsfoto zu sehen war.
    »Wir haben nicht mehr viel miteinander zu tun«, begnügte sich Anita zu antworten. Sie setzte sich mit ihrer Teetasse auf den orangefarbenen Plastikstuhl vor der verblassten Fototapete, die sich an den Rändern bereits löste. Alles in der Wohnung stammte aus den Siebzigerjahren, nicht zuletzt die Lebenseinstellung ihres Bewohners. Augenscheinlich waren Gladbach und seine Wohnung während der fünfundzwanzigjährigen Gefängnisstrafe tiefgefroren gewesen.
    »Gut, dass auch du endlich Dietrichs Schwächen erkannt hast«, sagte Gladbach. »Er neigte schon in jungen Jahren zum Opportunismus.«
    Mit groben Sätzen zog er über Dietrichs Charakter Ende der Siebzigerjahre her. Anita hörte höflich zu und ließ den Blick über die Bilder an der gegenüberliegenden Wand schweifen. Darauf waren eine Frau und ein Junge zu sehen, besonders die Bilder von dem Jungen sah sich Anita genau an. Dominik Gladbach war auf den ersten Fotos ein süßer Fratz und auf den letzten ein langer Lulatsch mit mürrischem Gesicht und Pickeln.
    Die Bilderfolge endete mit einem selbstsicheren Jüngling, der neben einem Motorrad posierte. Gladbach vergötterte seinen Dominik, das hatte Anita immer gewusst, und sie überlegte fieberhaft, wie offen sie mit ihm reden konnte.
    »Und Monika und Karin?«, fragte Gladbach. »Hast du von ihnen etwas gehört?«
    »Ich habe Roland vor zwei Jahren getroffen. Er hat mir erzählt, Monika sei nach Asien gegangen.«
    Nachdenklich schlürfte Gladbach seinen Tee. »Hier in der Nähe, in der Erdestraße, ist eine große Wohnung zu vermieten. In schlechtem Zustand und billig. Ich denke, dass da fünf oder sechs Leute Platz finden. Meinst du, dass sich jemand dafür interessiert?«
    Anita empfand plötzlich Mitleid mit dem Mann, der vor ihr saß. »Ich weiß nicht, ich bewege mich schon lange nicht mehr in den Kreisen von früher.«
    Als junger Mann hatte Gladbach mit Dietrich zusammen in derselben Kommune in Westberlin gewohnt. Dietrich hatte sich, wie er sagte, nie an den Aktivitäten der Roten Armee Fraktion beteiligt. Dennoch hatte Anita immer die Frage beschäftigt, wodurch er die zwei ehemaligen Stasimitarbeiter kannte, mit denen er in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch der DDR Geschäfte machte. Die Staatssicherheit der DDR hatte die westdeutschen Terroristen, die an der Aushöhlung der bundesdeutschen Gesellschaft arbeiteten, intensiv unterstützt, laut Dietrich hatte auch Gladbach viele Jahre in einem von der Stasi bereitgestellten Versteck im ostdeutschen Premnitz verbracht, aber über seine eigenen Stasibekanntschaften hatte Dietrich immer geschwiegen.
    Gladbach holte noch einmal

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