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Ein Schnupfen hätte auch gereicht. Meine zweite Chance

Ein Schnupfen hätte auch gereicht. Meine zweite Chance

Titel: Ein Schnupfen hätte auch gereicht. Meine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaby Köster
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Intimsphäre sowieso vor meiner Familie nicht leisten, so sieht das nämlich mal aus! Natürlich ist mir das manchmal peinlich, aber erst mal geht es eben nicht anders und – besser so als tot! (Tolles Argument, oder? Zieht immer, außer bei übelsten Depressionen – wenn die am Start sind, frage ich mich natürlich, ob ich nicht besser in Ruhe eingeschlafen wäre, anstatt mir den ganzen Driss hier anzutun!) So richtig peinlich war mir in der ersten Zeit zu Hause nur, dass ich mich bei meinen Bemühungen, alleine auf die Toilette zu gehen, manchmal etwas verkalkuliert habe. Um genauer zu werden: Ich habe zu lange gewartet, und da nach dem langen Katheter das Pieseln erst wieder geübt werden musste, ging es oft schon mal
vor
der Toilette los und nicht erst auf ihr. Das hatte natürlich zur Folge, dass mein Herr Sohn zu mir völlig konsterniert sagte: »Gaby, das geht so nicht! Du kannst nicht einfach vor die Toilette pinkeln!« Da wäre ich vor Scham am liebsten selber im Klo versunken. Eine Mischung aus Scham, Wut und Verzweiflung kam in mir hoch. Dafür hab ich dieses Kind also großgezogen und ihm nicht nur den Hintern abgewischt: Damit der Bengel mir die große Neuigkeit verkündet, dass man nicht vor, sondern in die Toilette pinkeln soll. Großartig! Helft euren Müttern, ja schönen Dank auch!
    Ich habe ihn mindestens für eine Woche geistig enterbt, Strafe muss sein. Allein schon, weil ich fast geheult habe, vor Ohnmacht. »Mein lieber Sohn, ich hätte es auch sehr gerne anders gemacht und dir und mir das Debakel erspart, aber wenn es erst mal läuft, dann kann man es nicht mehr aufhalten, dann läuft es, bis es aus ist!«
    Donald hat das dann auch verstanden, aber dadurch wurde diese Erfahrung auch nicht schöner!
    Es sind die Belanglosigkeiten des Alltags, die mich immer wieder fertigmachen. Sachen, über die man als gesunder Mensch nicht eine Minute Nachdenken verschwendet. Die selbst für Kleinkinder selbstverständlich sind und ohne große Mühen ausgeführt werden können: Mal eben zur Toilette gehen, sich den Hintern abwischen, fix duschen und Haare waschen, Tür aufmachen, schnell noch einen Happen essen, mal eben einkaufen gehen! Ich scheitere schon am Anziehen – das ist auch nicht gerade einfach, wenn eine Hälfte meines Körpers Befehlsverweigerung praktiziert! Und über »lass dich mal eben in die Arme nehmen, mein Sohn« will ich jetzt gar nicht reden, weil ich sonst wieder schlecht draufkomme. Der verdammte Alltag kann an schlechten Tagen schon genug nerven. Ich habe mich mal bei dem Versuch, mir selbständig eine Jacke anzuziehen, mit genau dieser Jacke gefesselt, aber die Mum konnte ihre amateurhafte Houdini-Tochter Gott sei Dank wieder befreien.
     
    Die Mum ist unglaublich, ich weiß nicht, wie sie das macht und wo dieser kleine Körper diese Gigawatt von Energie hernimmt – aber von Anfang an kriegten wir das irgendwie zusammen hin, with a little help from my friends natürlich! Die Mum sagt immer: »Wenn man liebt, geht alles!« Das ist zwar auch wieder ein dickes Klischee und nicht immer richtig zutreffend, aber wenn dieses Klischee auf den richtigen Menschen trifft – wie zum Beispiel wie bei der Mum – dann ist wohl sehr viel Wahres dran! Nur mal fürs Protokoll: Ohne die Mum wäre ich heute längst nicht da, wo ich bin!
    Inzwischen ist meine Mutter einundsiebzig Jahre alt und manchmal macht es mich tieftodtraurigmich, dass sie ihr ganzes Leben lang immer soviel arbeiten musste. Und just als sie eigentlich an der Reihe war, nur noch das Kapitänsdinner auf dem Traumschiff zu genießen, komm ich mit einem drisseligen Hirninfarkt und vermassel ihr die Tour! Sie hat echt was anderes verdient, diese zierliche, zerbrechliche und doch so taffe und mutige Frau! Jawoll, meine Mutter ist sehr mutig, das zeigt sich schon in so einem kleinen, für einige Leute vielleicht unbedeutenden Detail (aber nicht für sie!): Die Mum fährt eigentlich einen kleinen Fiat, und für sie war mein Kangoo immer ein »großes Auto«, mit dem sie nicht fahren wollte, schon gar nicht in diesem schrecklichen Schneewinter 2010. Aber ich musste ja schließlich immer zur Therapie gefahren werden und deswegen hat sie allen Mut zusammengenommen und zu mir gesagt: »Wir lassen uns von dem schangeligen Winter nicht deine wichtigen Reha-Anwendungen verschneien! Wir müssen mobil bleiben, ich muss und ich werde dieses Auto fahren!« Und so düsen wir nun überall hin. Weil die kleine Frau so groß und stark ist.

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