Ein Schnupfen hätte auch gereicht. Meine zweite Chance
wieder.«
Das hat mich so traurig gemacht, weil mir natürlich in diesem Augenblick schlagartig wieder klarwurde, dass dieser Teil meines alten Lebens unwiderruflich vorbei ist. Das tut dann wieder so weh, und die Flut wehmütiger Erinnerungen rauscht so unnachgiebig brutal und mühelos über die unter Entbehrungen aufgebauten Deiche und Befestigungen des neuen Lebens hinweg, dass man sich verzweifelt fragt, wie oft man denn noch untergehen muss. Und wieder alle Schäden des Hochwassers beseitigen darf. Auch wenn man sich nicht gerade dafür in bester Verfassung befindet. Selbst ein paar Wochen später, als Jonas und Till mich besucht haben, war ich noch nicht über den Berg. Als Jonas mich fragte, wie es mir denn gefallen hätte, antwortete ich nur: »Gut.« Aber Till mit seinen feinen Antennen hatte wieder den Braten hinter meiner knappen Antwort gerochen und setzte nach: »Man vermisst schon den Applaus, oder? Wir sind ja schließlich mit Leib und Seele Künstler!« Ich versuchte relativ unbeholfen auszuweichen: »Ich weiß nicht.« Aber Till schaute mir nur lieb in die Augen und sagte tröstend: »Doch, Schatzi, du weißt es. Deswegen weinst du ja.«
Ja, die Bühne fehlt mir. Natürlich weiß ich auch, dass hier nicht das Ende meiner Karriere ist. Aber es ist nun mal so, wie ich es gesagt habe: So wie es früher war, kann es nie wieder werden. Aber vielleicht werde ich ja auch so mein fürchterliches Lampenfieber loswerden. Sie werden es nicht glauben, und vielleicht habe ich es ja auch schon mal erwähnt, aber ich habe vor jedem Auftritt immer ein wahnsinniges Lampenfieber gehabt. Jetzt werden einige denken: Ja, sicha, die Köster und Lampenfieber! Die größte Klappe von hier bis Santa Fé, aber Lampenfieber! Die Verbalmuräne aus Köln! Madame 100 000 Volt! Hör doch auf!
Ist aber so, Leute. Ich sterbe vor einem Auftritt tausend kleine Tode. War schon immer so. Ich weiß noch, wie es vor meinem ersten Soloprogramm war. Da habe ich mich von allen Freunden und Verwandten verabschiedet, weil ich wirklich dachte, ich komme nicht wieder. Das überleb’ ich nicht. Heute weiß ich natürlich, dass ich schon ganz andere Sachen überlebt habe, aber wenn ich früher in einer Garderobe gestanden habe und die Uhrzeiger rückten unerbittlich auf zwanzig Uhr vor, dachte ich jedes Mal: Was tust du dir an? Du könntest jetzt schön entspannt wie ein Sack Götterspeise auf dem Sofa liegen. Stattdessen bist du hier und stirbst vor Angst! Aber wenn ich erst mal auf der Bühne stand und loslegte, war alles wie weggefegt, und hinterher war ich immer glücklich und zufrieden. Und in Köln aufzutreten war natürlich immer am schlimmsten wegen all der Freunde, der Bekannten und der Familie … aber umziehen nach jedem Auftritt wäre ja auch keine Lösung gewesen.
Von fehlenden Armen im Alltag
Natürlich läuft jeden Tag auch der Reha-Alltag weiter, manchmal mit scheinbar kleinen, aber doch auch großen Fortschritten. Manchmal auch mit den üblichen Enttäuschungen über zu große Erwartungshaltungen. Vor einiger Zeit murmelte sich eine Therapeutin während der Behandlung meines linken Armes in ihren gut rasierten Bart: »Na, ob das noch mal was gibt, mit dem Arm hier?« Um mich dann wenig später zu fragen: »Was fehlt Ihnen denn am meisten?« Da konnte ich es mir natürlich nicht verkneifen, ihr ganz trocken reinzudrücken: »Der Arm fehlt mir!« Daraufhin bekam ich von ihr die wertvolle Mitteilung, dass ich vielleicht aber auch etwas anspruchsvoll wäre, denn andere Leute wären auch mit
einem
Arm zufrieden. Ich sagte: »Bilden Sie sich bloß nicht ein, dass ich deswegen anfange mit den Füßen zu häkeln.« Die Handarbeit fehlt mir schon sehr, weil ich halt immer meine eigenen Klamotten kreiert habe. Ich habe sogar schon mal überlegt, ob ich mir den lahmen Arm abnehmen und mir so eine Hightech-Roboterprothese dranmachen lassen soll. Aber das funktioniert natürlich auch nicht. Beschäftigt hat mich dieser Gedanke aber schon, und er taucht auch immer wieder auf. Genauso oft träume ich allerdings auch, dass ich meinen linken Arm wieder bewegen kann und bin dann sehr enttäuscht, wenn ich wach werde und feststelle, dass sich noch nichts geändert hat. Das Wichtige ist eben, dass man sich für die kleinen Erfolge motiviert, obwohl einem der Teufel auf der Schulter höhnisch zuruft: »Du kannst deine Hose alleine auf- und zumachen? Ist ja toll, das kann die kleine Zita auch schon mit ihren vier Jahren! Is ja irre!«
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