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Ein schöner Ort zu sterben

Ein schöner Ort zu sterben

Titel: Ein schöner Ort zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malla Nunn
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Motor an und wartete, bis Zweigman sich neben ihn gesetzt hatte, die Arzttasche auf den Knien. Keiner sprach. Der Wagen schob sich vom Straßenrand weg und machte sich auf den Weg zurück zum Krankenhaus.
    »Wo haben Sie Medizin studiert?«, fragte Emmanuel schließlich. Bevor Zweigman sich an der Leiche des Captains zu schaffen machte, ging er besser die ganze Checkliste durch.
    »In der Berliner Charité«, antwortete der alte Jude.
    »Dürfen Sie in Südafrika praktizieren?« Emmanuel konnte sich nicht vorstellen, dass die National Party jemanden mit einem deutschen Diplom nicht anerkannte, selbst wenn es sich bei der betreffenden Person um einen Juden handelte.
    Zweigman tippte mit einem Finger auf das harte Leder seiner Arzttasche. Er schien über die Frage nachzudenken.
    Sie verließen die Piet Retief Street mit ihren Geschäften weißer Inhaber und bogen in die General Kruger Road ein. Jede Straße in Jacob’s Rest kam der Antwort auf eine Prüfungsfrage in der Geschichte des Burenstaates gleich.
    Mit einer wegwerfenden Handbewegung tat der Krämer die Frage ab. »Ich fühle mich nicht länger in der Lage zu praktizieren, egal in welchem Land.«
    Emmanuel ging vom Gas und wollte schon eine Kehrtwendung zurück zu Poppies General Store machen.
    »Hat man Sie jemals in Deutschland oder Südafrika aus der Ärztekammer ausgeschlossen, Dr. Zweigman?«, fragte er.
    »Nein, nie. Und den Doktor können Sie sich sparen. Nennen Sie mich einfach ›alter Jude‹ wie alle anderen.«
    »Das würde ich ja.« Emmanuel hielt vor dem Mercy of God -Krankenhaus. »Aber so alt sind Sie doch noch gar nicht.«
    »Ahhhh …«, machte Zweigman, und es hörte sich an wie vertrocknetes Pergament. »Lassen Sie sich von meiner jugendlichen Erscheinung nicht täuschen. Tief drinnen bin ich eigentlich sogar ein uralter Jude.«
    Emmanuel warf einen kurzen Seitenblick auf seinen Passagier. Dessen exzentrisches Gerede mochte einer der Gründe sein, warum dieser kauzige Kraut jetzt hier neben ihm hockte und nicht in einer versnobten Praxis in Kapstadt oder Jo’burg.
    »Ich denke, ich werde Sie ›der seltsame Jude‹ nennen. Das passt besser zu Ihnen. Und jetzt möchte ich Ihre Papiere sehen.« Der freundschaftliche Umgang mit einem Mann, der bescheuert genug war, lieber Krämer als Arzt sein zu wollen, stand auf Emmanuels Prioritätenliste ganz weit unten. Er wollte einfach dessen berufliche Zulassung überprüfen und dann etwas gegen die hämmernden Schmerzen in seinem Kopf haben.
    Ein Sonnenstrahl traf auf den silbrigen Rand von Zweigmans Brille, und der Jude senkte den Kopf, weshalb Emmanuel sich nicht sicher war, ob er gerade in den braunen Augen des anderen ein Lachen hatte aufblitzen sehen. Zweigman reichte ihm die Zeugnisse, von denen die ersten auf Deutsch waren.
    »Können sie Deutsch lesen, Detective?«
    »Nur die Speisekarte im Brauhaus.« Emmanuel blätterte weiter zu den in Englisch abgefassten südafrikanischen Diplomen. Langsam las er sie durch und studierte sie dann noch einmal. Nicht nur Chirurg, sondern sogar Mitglied des Royal College of Surgeons. Es war, als hätte man in einer dreckigen Socke eine Goldmünze gefunden.
    Emmanuel warf Zweigman einen prüfenden Blick zu, doch der schaute ungerührt zurück. Es musste eine ganz einfache Erklärung geben, warum dieser weißhaarige Deutsche in Jacob’s Rest hockte. Das Hinterland war doch der perfekte Ort, wo sich ein Chirurg mit zittrigen Händen verbuddeln konnte. Oder sprach der gute Doktor vielleicht dem Alkohol zu?
    »Nein, Detective Sergeant.« Zweigman hatte seine Gedanken erraten. »Ich greife nie zur Flasche.«
    Mit einem Schulterzucken reichte Emmanuel ihm die Papiere zurück. Zweigman war überaus befähigt für das, worum Emmanuel ihn gebeten hatte. Und mehr war für den Fall nicht erforderlich.
     
    Die runde Ziegelhütte, die weit genug vom Hauptgebäude entfernt lag, um eine Pufferzone zwischen den Lebenden und den Toten einzuhalten, erfüllte zwei Aufgaben gleichzeitig: als Leichenschauhaus und als Geräteschuppen.
    Emmanuel blieb im Schatten eines Jacarandabaumes stehen und ließ Shabalala und Zweigman vorgehen. Über einen Teppich herabgefallener Jacarandablüten begaben sich der gebückt gehende Arzt und der riesenhafte Schwarze zum Leichenschauhaus. Am Ende des Weges flößten Schwester Angelina und Schwester Bernadette gerade einer Reihe zerlumpter Kinder Lebertran ein. Hansie schlief derweil den tiefen Schlaf, der nur Dorftrotteln gegeben ist. Sein

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