Ein schöner Ort zu sterben
Reaktion sich im Bruchteil einer Sekunde von Schock in vollkommene Ruhe verwandelt hatte.
»Wohin damit, Doktor?« Schwester Angelina kam mit einer riesigen Schüssel heißen Wassers herein, die sie in ihren muskulösen Armen trug. Eine gestärkte weiße Schürze, die bis zu den Knien reichte, bedeckte ihre Schwesterntracht.
Zweigman zeigte auf den freigeräumten Beistelltisch. Im selben Moment schleppte sich Schwester Bernadette herein, verborgen unter einem Stapel Handtücher und Waschlappen. Schweigend wie Tänzerinnen in einem gut einstudierten Ballett bereiteten die beiden Schwestern die Untersuchung vor. Zweigman schrubbte sich die Hände und Unterarme ab und trocknete sie mit einem kleinen Handtuch.
»Doktor?« Schwester Bernadette hielt ihm einen weißen Operationskittel hin, auf dem in Dunkelblau der Name Krüger eingestickt war. Zweigman schlüpfte hinein und gestattete Schwester Bernadette, die Bändel am Rücken zu verknoten. Es war nicht zu übersehen, dass sie schon früher zusammengearbeitet hatten.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte Zweigman.
»Den Todeszeitpunkt. Außerdem die Todesursache und einen unterschriebenen Totenschein.«
Emmanuel zog sein Notizbuch hervor, aber seine Kopfschmerzen waren so schlimm, dass er nur noch krakeln konnte.
»Detective?« Emmanuel kniff die Augen zusammen und sah, dass vor ihm Schwester Angelina stand, in einer Hand ein Glas Wasser und in der ausgestreckten anderen vier weiße Pillen. »Der Doktor sagt, die sollen Sie sofort einnehmen.«
Emmanuel schluckte die Tabletten und spülte sie mit dem Wasser hinunter. Doppelte Dosis, so wie er es immer machte, wenn die Sehstörungen einfach nicht besser werden wollten. Vielleicht war »schlauer Jude« sogar noch ein besserer Name für Zweigman.
»Danke.«
»Keine Ursache.« Der falsche Krämer wandte sich um und trat an die Leiche heran. Das gleißende Licht der nackten Glühbirne verlieh dem Gesicht des Toten einen geisterhaften Schimmer. »Fangen wir also mit der Kleidung an.«
Schwester Angelina nahm sich eine Gartenschere und schnitt an der steifen Knopfleiste entlang vom Hals bis zur Taille, dann pellte sie den Stoff ab wie die Schale einer Frucht und legte den bleichen, aufgedunsenen Torso des Captains frei.
Emmanuel trat näher heran. Bis seine verschwommene Sicht besser wurde, musste er es langsam angehen lassen und konnte Informationen nur scheibchenweise verarbeiten. Für offensichtliche Details mussten ein oder zwei Wörter seinem Notizbuch reichen – jedenfalls, bis er wieder richtig sehen konnte.
Schwer war das erste Wort, das er notierte. Die Pretorius-Brüder hatten ihre Größe und Stärke von ihrem Vater geerbt. Der Captain war gut über einen Meter achtzig groß, seine Muskeln zeugten von körperlicher Arbeit.
»Hat der Captain noch Sport betrieben?«, fragte Emmanuel in die Runde. Die Nase des Captains, die mehrfach gebrochen und unbeholfen wieder gerichtet worden war, hatte er sich möglicherweise auf einem der schlammigen Spielfelder geholt, die man überall im Afrikaanderland fand.
»Er hat das Rugby-Team trainiert«, erklärte Hansie.
»Und er ist gelaufen«, steuerte Bernadette bei. »Durch die ganze Stadt ist er gelaufen und manchmal auch raus aufs Land.«
»Jeden Tag um dieselbe Zeit?«
»Jeden Tag außer sonntags, weil das der Tag des Herrn ist.«
Man hörte Schwester Bernadette ihre Bewunderung an. »Manchmal ist er morgens gelaufen, manchmal haben wir ihn aber auch noch gesehen, wenn es schon lange dunkel war.«
Das war vielleicht eine Erklärung dafür, warum der Captain – anders als so viele seiner älteren Kollegen – kein Fett angesetzt hatte. Es war beinahe schon eine Verletzung der Dienstpflicht, wenn man nach zehn Jahren bei der Polizei immer noch Normalgewicht hatte.
»Stimmt«, pflichtete Zweigman bei und löste einen Schnürsenkel. »Entweder frühmorgens oder spätabends. Man wusste nie, wann der Captain vorbeilaufen würde. Oder stehenbleiben und ein bisschen plaudern.«
»Ach ja«, seufzte Schwester Bernadette. »Der Captain blieb immer stehen, wenn er Zeit hatte. Sämtliche unserer kleinen Waisen kannte er mit Namen.«
Emmanuel schrieb Zweigman gegen Captain? in sein Notizbuch. Die Worte des Arztes waren ihm irgendwie abfällig erschienen. Er würde später herauszufinden versuchen, was dahintersteckte.
»Hose.« Zweigman trat zurück, und die Schwester schnitt mit der Gartenschere beide Hosenbeine auf, dann klappte sie den Stoff weg. »Schwester
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