Ein schöner Ort zu sterben
Emporium verströmte einen beißenden Geruch nach Gewürzen. Nebenan residierte ein Laden für »Feinste Spirituosen«, vor dem zwei gemischtrassige Jungen gelangweilt Karten spielten. Dahinter befand sich Poppies General Store, der gefährlich danach aussah, als würde sein hölzernes Fundament zum leeren Nachbargrundstück hin wegrutschen.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag eine ausgebrannte Werkstatt mit einer angekokelten Benzinpumpe und Stapeln blasiger Autoreifen. Geduldig arbeitete sich ein schlaksiger, walnussbrauner Mann durch die Trümmer, hob Ziegelsteine und verbogene Metallteile auf und warf sie in eine Schubkarre.
Aus dem Packard heraus beobachtete Emmanuel die Fußgänger. Eine schwarze Eingeborene lief vorbei, ihren Säugling hatte sie sich auf den Rücken geschnürt. Ein gemischtrassiger, »farbiger« Junge schob ein aus Draht gebasteltes Spielzeugauto über den Pfad. Keine Engländer oder Afrikaander. Er war aus dem weißen Afrika gefallen.
»Der letzte Laden da hinten gehört dem alten Juden.« Shabalala zeigte auf Poppies General Store. Emmanuel stellte den Motor ab und legte seinen Optimismus auf Eis. Eine Bruchbude auf der falschen Seite der Hautfarbengrenze war wohl kaum der passende Ort für einen studierten Mediziner, außer er hatte einen Sprung in der Schüssel oder war aus der Ärztekammer geflogen.
Drinnen war Poppies Laden vollgestopft mit Jutesäcken voller Körner, Geleedosen und Pökelfleisch. Emmanuel atmete den Geruch roher Baumwolle ein und sah am hinteren Ende einer langen hölzernen Theke ballenweise ungefärbte und gemusterte Stoffe stehen. Hinter der Theke befand sich ein Männlein mit einer Nickelbrille und einem schneeweißen Haarschopf, der von seinem Kopf aufragte wie ein Ausrufezeichen.
Ein Verrückter, beschloss Emmanuel ohne Umschweife. Außerdem war der »alte Jude« nicht annähernd so alt, wie er sich vorgestellt hatte. Trotz seiner Haarfarbe und dem gebeugten Rücken hatte Zweigman die fünfzig noch nicht überschritten. Seine Augen, aus denen er jetzt unbeteiligt die beiden schlammverspritzten Männer musterte, waren so hell wie die einer Kuh.
»Womit kann ich Ihnen helfen, Officer?«, fragte Zweigman mit einem Akzent, den Emmanuel gut kannte: gehobenes Deutsch, das in ein holpriges, schmuckloses Englisch übertragen wurde.
»Holen Sie Ihre Arzttasche und Ihre Lizenz! Wir brauchen Sie im Krankenhaus.« Emmanuel warf seinen Dienstausweis auf die Theke, damit Zweigman ihn auch gut zu Gesicht bekam.
»Einen Augenblick bitte«, antwortete Zweigman höflich und verschwand in einem Hinterzimmer, das vom Laden durch einen gelbweiß gestreiften Vorhang abgetrennt war. Das mechanische Summen von Nähmaschinen drang heraus und erstarb dann plötzlich. Emmanuel hörte Stimmen, die leise und dringlich aufeinander einredeten, dann tauchte der Arzt mit seiner Tasche wieder auf. Eine dunkelhaarige Frau in einem eleganten blauen Satinkleid, das ihre ausladenden Formen gut zur Geltung brachte, folgte ihm auf dem Fuß.
Der alte Jude und die Frau passten sowenig zueinander wie ein Paar Gummistiefel zu einem Ballkleid. Zweigman sah aus wie ein x-beliebiger alter Mann hinter irgendeiner staubigen Verkaufstheke, aber diese Frau gehörte an einen Ort in moderatem Klima, mit Perserteppichen und einem Flügel in der Ecke.
Immer wieder kam der Frau das Wort »Liebling« über die Lippen, sie hörte erst auf, als Zweigman ihr sanft einen Finger auf den Mund legte. Die beiden standen ganz dicht beieinander und waren umflort von einer solchen Traurigkeit, dass Emmanuel sich in die Defensive gedrängt sah.
»Lassen Sie uns gehen«, sagte er und wandte sich zur Tür.
Der Kopfschmerz meldete sich wieder, glühte heiß hinter dem Augapfel. Emmanuel presste eine Handfläche auf das Auge, um den Schleier loszuwerden, und sah plötzlich ein Bild von seiner eigenen Frau Angela vor sich, als sei es in seine Netzhaut gestanzt. Bleich und schemenhaft rief sie aus einer dunklen Ecke der Vergangenheit nach ihm. Hatten sie beide je, fragte er sich, so vertraut beieinander gestanden wie gerade der alte Jude und seine verängstigte Frau?
Das Licht draußen war von einem milchigen Weiß und durchwebt mit kleinen Staubpartikeln. Die farbigen Jungen vor dem Schnapsladen sahen auf und konzentrierten sich dann schnell wieder auf ihre Karten. Einen Polizisten ließ man besser einfach weitergehen, anstatt ihn anzuhalten und Fragen zu stellen.
Emmanuel rutschte auf den Fahrersitz, ließ den
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