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Ein schöner Ort zu sterben

Ein schöner Ort zu sterben

Titel: Ein schöner Ort zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malla Nunn
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Bernadette, bitte ziehen Sie ihn aus, wenn wir ihn hochheben.«
    Zweigman trat hinter die Schultern des Captains.
    »Herr Doktor, ich bitte Sie!« Schwester Angelina wedelte ihn mit einer Handbewegung beiseite und schob das ganze Gewicht des Captains eigenhändig in Sitzhaltung, während ihre elfenhafte irische Kollegin die verdreckte Uniformjacke auszog und auf den Boden warf. Dann machten sie dasselbe mit der Hose und ließen den Captain nackt und bleich auf der Bahre liegen. Diskret drapierte Schwester Angelina ein Handtuch über die entblößten Genitalien.
    »Der arme Captain Pretorius.« Schwester Bernadette legte einen herunterbaumelnden Arm zurück auf die Bahre. »Egal, in welchem Zustand sein Körper sein mag – ich wüsste doch immer noch, dass er es ist.«
    Emmanuel suchte den Körper nach unveränderlichen Merkmalen ab, fand aber keine. Gab es vielleicht etwas an dem nackten Captain, das nur die kleine Nonne erkennen konnte?
    Schwester Bernadette hob eine tote Hand hoch. »Nicht ein einziges Mal habe ich ihn ohne seine Uhr gesehen. Immer hat er die getragen.«
    »Er hat sie nie abgelegt.« Hansie bekam feuchte Augen. »Mrs. Pretorius hat sie ihm zum vierzigsten Geburtstag geschenkt. Das Uhrband ist aus echtem Krokodilleder.«
    Emmanuel trat näher heran und nahm die Uhr in Augenschein. Selbst unter dem ganzen Dreck konnte man noch gut erkennen, wie wertvoll sie war. Mattiertes Gold und ein Krokoband. Elegant. Eigentlich kein Wort, das einem in Zusammenhang mit dem Captain oder seinen feisten Söhnen als Erstes eingefallen wäre. Emmanuel hob die Hand hoch und besah sie sich näher. Über den Fingerknöcheln waren frische Abschürfungen. Captain Pretorius hatte erst kürzlich jemanden kräftig geschlagen. Auf der großen Handfläche verteilten sich einige Schwielen.
    »Welche körperlichen Arbeiten hat der Captain verrichtet?«
    »Er hat gern mit Louis an Motoren herumgeschraubt. Die beiden haben zusammen ein altes Motorrad wieder hergerichtet«, schniefte Hansie.
    »Nicht so was«, unterbrach Emmanuel. Ein paar von den Schwielen hatten weiche, ausgefranste Ränder wie von frischen Blasen. Das hier war die Hand eines Arbeiters, der bis zu seinem letzten Tag auf Erden richtig zugepackt hatte. »Ich meine schwere körperliche Arbeit. Solche, bei der man richtig ins Schwitzen kommt.«
    »Manchmal hat er Henrick auf der Farm ausgeholfen«, sagte Hansie leise. »Wenn das Vieh desinfiziert oder markiert werden musste, war er gern dabei und sah zu, weil er selbst auf einer Farm aufgewachsen war und das Landleben ihm fehlte.«
    Emmanuel warf Shabalala einen Blick zu, doch der sagte nichts und hielt die Augen starr auf den Betonboden gerichtet, wo achtlos die zerschnittene Uniform des Captains lag. Falls der schwarze Polizist die Antwort kannte, war er jedenfalls nicht geneigt, sie mitzuteilen.
    Emmanuel drehte die kalte Hand wieder um und trat zurück. Vielleicht wussten die Söhne ja etwas. Er schrieb schwere körperliche Arbeit / blasige Hände in sein Notizbuch. Die schwarze Zeile geriet ihm einigermaßen gerade. Die Wirkung der Pillen hatte eingesetzt.
    Zweigman verschaffte sich einen ersten Überblick über die Leiche. »Schweres Schädeltrauma. Scheint die Eintrittswunde einer Gewehrkugel zu sein. Abschürfungen an Schultern, Ober- und Unterarmen …«
    Weil der Tote weggeschleift wurde, dachte Emmanuel. Der Mörder musste fest zugepackt und wie ein Maultier gezogen haben, um bis zum Wasser zu gelangen. Wozu die ganze Mühe? fragte Emmanuel sich. Warum hatte er nicht einfach abgedrückt und war in der Nacht verschwunden?
    Zweigman arbeitete sich weiter den Körper hinab und achtete dabei auf jedes Detail. »Schweres Wirbelsäulentrauma. Offensichtlich die Eintrittswunde einer weiteren Gewehrkugel. Abschürfungen an den Fingerknöcheln. Blasen auf den Handflächen …«
    Emmanuel beobachtete den Deutschen bei der Arbeit. Der Mann war ganz in seine Aufgabe versunken, das Gesicht strahlte beinahe Befriedigung aus. Warum nur verschanzte er sich hinter der Theke eines erbärmlichen Krämerladens? Mit so einer Erfahrung?
    »Dann waschen wir mal den Körper ab«, erklärte Zweigman.
    Schwester Angelina wrang warmes Wasser aus einem Handtuch. Resolut wie eines der Kindermädchen, die in jedem englischen und Afrikaander-Haushalt Südafrikas anzutreffen waren, begann sie, die bleiche Haut abzuwaschen. Nach etwas über vierzig Jahren auf Erden verschied der Captain genauso aus dem Leben, wie er hineingetreten war:

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