Ein schöner Ort zu sterben
ihrem Bruder, glomm nur ein schwaches Fünkchen.
»Das war eine schöne Kette«, sagte sie auf Afrikaans. »Hansie hat geweint, als er sie wieder zurückfordern musste, und seine Allerliebste war wütend auf ihn. Ma ist zum Laden gelaufen, Natron kaufen, damit Hansies Magen sich wieder beruhigt.« Emmanuel sah Shabalala an. »Wir brauchen noch einen Alternativplan für unsere Flucht. Das hier ist für Männer von unserem Schlag kein passender Ort, um zu sterben.«
Sie kämpften sich durch die Wildnis, immer weiter auf das vor ihnen liegende Getürm aus Felsen und Wolken zu. Vor Urzeiten, lange bevor der weiße Mann gekommen war, hatte dieser Berg bestimmt einmal irgendeine spirituelle Bedeutung gehabt. Emmanuel spürte geradezu seine Anziehungskraft, während er versuchte, dem flinken Shabalala durch die immergleiche Monotonie aus Ästen, Dornen und Termitenhügeln zu folgen.
55 Minuten und eine kurze Verschnaufpause später erreichten sie den Fuß des Berges und blickten nach oben. Nur hier und da wuchsen aus Spalten, die Wind und Regen im Laufe der Jahrhunderte in die massive Felswand gemeißelt hatten, ein paar Grasbüschel und verkrüppelte Bäume. Wie so oft bei solcherlei Erdformationen war der Anblick zwar imposant, aber nicht einladend.
»Wie kommen wir da rauf?« Emmanuel lehnte sich gegen einen von der Sonne erwärmten Felsbrocken, der an der Bergwand kauerte wie die Murmel eines Schuljungen. Die Pause tat gut, das Gefühl, wieder ein- und ausatmen zu können, ohne dass ihm durch den Sauerstoffmangel im Blut die Lungen brannten.
»Wir marschieren zuerst auf die andere Seite und dann hoch«, erklärte Shabalala. Befriedigt reagierte Emmanuel, dass dem Zulu-Constable durch den Querfeldeinlauf tatsächlich einmal der Schweiß ausgebrochen war.
»Ist die Ziege da oben auf dem Berg?«, fragte Hansie, nachdem er einen tiefen Schluck aus seiner Wasserflasche genommen hatte. Die Gesichtsfarbe des Jungen hatte sich von weiß über rosa in ein kräftiges Feuerrot gewandelt, er sah aus wie eine aufgeschnittene Wassermelone.
»Das hoffe ich«, antwortete Emmanuel. Er drückte sich vom Felsen ab und folgte Shabalala um die Ausläufer des Bergmassivs herum. Nach fünf Minuten Fußmarsch erreichten sie eine tiefe Felsspalte. Shabalala blieb stehen und deutete auf einen Pfad, der sich den Berg hinaufwand und schließlich hinter einem windzerzausten Baum mit Ästen wie ausgebleichten Knochen verschwand.
»Da hoch.« Shabalala führte sie auf den schmalen Steig. Immer wieder blieb er stehen und untersuchte ein Grasbüschel oder einen abgeknickten Zweig.
»Irgendwelche Spuren von den beiden?«, fragte Emmanuel. Er rutschte immer wieder auf lockeren Steinen aus und stolperte über herausgewachsene Wurzeln. Louis und Davida konnten sich ebenso gut hundert Meilen entfernt auf der anderen Seite der Farm befinden.
»Es führen drei Pfade zu der Höhle. Bis jetzt kann ich nur sagen, dass sie diesen hier nicht genommen haben.«
»Vielleicht sind sie ja auch gar nicht da.« Die Angst, die schon an Emmanuel nagte, seit sie aus der Stadt in die Berge geprescht waren, saß ihm mittlerweile wie ein Stachel im Fleisch. Während der gesamten Ermittlungen war er mit Brosamen abgespeist worden, die man ihm hingeworfen hatte. Und nun würde er möglicherweise feststellen müssen, dass all seine Ahnungen und Mutmaßungen jeglicher Grundlage entbehrten.
An einer Stelle, wo der Pfad sich in drei Richtungen gabelte, blieb Shabalala stehen und untersuchte die Erde und die losen Steine am Rand. Dann drehte er sich zu Emmanuel um.
»Sie sind hier«, sagte er.
Eine Welle der Erleichterung rollte über Emmanuel hinweg. Der Adrenalinstoß befeuerte seine erschöpften Muskeln, und er erklomm den Pfad wieder schneller. Louis hatte ihnen gegenüber gute drei Stunden Vorsprung. Kein Mensch konnte wissen, was Davida Ellis inzwischen schon zugestoßen war.
Der Steig endete an einem breiten, ebenen Felsvorsprung, der über die steile Bergwand hinausragte. In alle Himmelsrichtungen hatte man von hier einen atemberaubenden Ausblick auf die ungezähmte Wildnis. Vor ihnen drehte ein Kampfadler, dessen weiße Brustfedern sich deutlich vom fahlen Himmel abhoben, auf einer Warmluftströmung seine Kreise. Weit unten in der Ebene glitzerte im Licht des späten Nachmittags ein Wasserloch. Es war tatsächlich ein herzergreifend schöner Ort, genau wie Shabalala gesagt hatte.
»Da.« Der Zulu-Constable wies zum dunklen Eingang der Höhle, der jenseits
Weitere Kostenlose Bücher