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Ein schöner Ort zu sterben

Ein schöner Ort zu sterben

Titel: Ein schöner Ort zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malla Nunn
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Sterne gesehen. Was für eine Glückseligkeit habe ich verspürt bei dem Gedanken, dass er und ich einander so ähnlich waren. Ich war der Sohn meines Vaters, nicht Mathandunina.«
    Aus dem Augenwinkel sah Emmanuel, dass Hansie sein Gewehr gesenkt hatte. Es zielte jetzt irgendwo zwischen sein Becken und seine Kniescheiben. Nach wie vor konnte Emmanuel nicht riskieren, auf Louis zuzuspringen, der immer noch gefährlich nah an der Klippe stand. Und Constable Hepple war zu begriffsstutzig, um mitzubekommen, dass die Gefahr für seinen Sandkastenfreund ganz allein von ihm ausging.
    »Weißt du noch, Shabalala?« Louis sprach jetzt auf Zulu weiter. »Als ich noch ein Kind war, haben die Leute immer gesagt: ›Guck den an. Von wem ist der eigentlich? Der kann doch unmöglich von dem Mann da sein?‹«
    »Dein Vater hat genau gewusst, dass du sein Sohn warst«, antwortete Shabalala. »Er hatte dich ganz tief in sein Herz geschlossen.«
    »Deshalb tut es mir ja so weh, dass ich nichts unternommen habe, um ihn zu retten.«
    »Du warst nicht am Fluss.« Shabalala warf dem Jungen einen Rettungsring zu in der Hoffnung, dass der ihn ergreifen würde. »Der Mann, der deinen Vater erschossen hat, ist derjenige, der die Schuld trägt.«
    »Der Lohn der Sünde ist der Tod. Ich habe das gewusst, und trotzdem habe ich nichts unternommen, weil das, was Pa machte, ja auch mir Vergnügen beschert hat. Meine Mutter wird es erfahren und es nicht verstehen. Sie wird mir nie vergeben.«
    »Deine Mutter liebt dich doch genauso wie dein Vater.«
    »Ich werde ihr nur Schande machen. Wenn ich ins Gefängnis muss, wird ihre Familie sie verstoßen.«
    »Sie liebt dich.« Behutsam ging Shabalala auf den Jungen zu. »Glaub mir, sie wird dich wieder in die Arme schließen.«
    Der Wind, der aus dem Busch aufstieg, fühlte sich auf Emmanuels Gesicht kalt an. Selbst Shabalala mit seiner atemberaubenden Schnelligkeit würde den schwermütigen Jungen nicht rechtzeitig erreichen und davon abhalten können, dass er seine Engelsflügel ausprobierte.
    »Sag ihr, es tut mir leid. Machst du das, Shabalala? Sag ihr, ich weiß, dass wir uns eines Tages an einem wunderschönen Gestade wiedersehen werden.«
    »Nkosana!« Shabalala sprang auf den Jungen zu, den er schon als kleines Kind hatte stolpern und hinfallen sehen. Seine Hände waren in einem stummen Versprechen ausgestreckt: Halte dich an mir fest, und ich werde dich beschützen.
    »Glück dem, der bleibt«, rief Louis. Er machte den Schritt über die Klippe und fiel in die Arme des Herrn. Emmanuel hörte das trockene Knacken von Ästen und dann nur noch das Atmen des Windes in der Stille. Es war beinahe so, als hätte Louis sich in Luft aufgelöst.

19
    Emmanuel stand an der Klippe und sah hinunter. Von Louis Pretorius war nichts zu sehen. Er lag nicht etwa mit kleineren Verletzungen in einer Felsspalte, noch wartete er, in Todesgefahr an einem Baumstamm hängend, auf Rettung. Der Junge war bis ganz hinunter in den Busch gefallen.
    »Ich muss ihn holen.« Shabalala trat von der Kante des Felsvorsprungs zurück und eilte auf den Pfad, der den Berg hinabführte. Er atmete schwer, unter dem gestärkten Stoff seiner Uniform hob und senkte sich seine riesige Brust. »Ich muss ihn finden und nach Hause bringen.«
    »Es ist nicht Ihre Schuld.« Emmanuel spürte die Qual des Schwarzen. Sie steckte tief in seinem Fleisch wie ein Dorn. »Sie haben alles getan, was man für Mathandunina in den letzten Momenten seines Lebens tun konnte.«
    Shabalala nickte zwar, ließ sich aber nicht beirren. Möglicherweise würde es Jahre dauern, bis der Dorn herausgewachsen war.
    »Wir treffen uns unten an dem Felsbrocken.« Emmanuel ließ den schwarzen Constable gewähren, damit der seine Aufgabe erledigen und den Toten bergen konnte. Nichts, was er sagte, würde den Schmerz lindern, den Shabalala empfand, weil er den Sohn seines Freundes nicht gerettet hatte. »Wir warten unten, bis Sie soweit sind.«
    Ohne sich noch einmal zu der Höhle umzuwenden, wo er als Junge stundenlang gespielt hatte, machte sich der Zulu auf den Weg. Ohne den Beistand einer Sangoma, einer mächtigen Medizinfrau, würde er diesen Ort nicht wieder betreten. Die Luft war so verseucht mit Geistern und Gespenstern, dass es einem den Atem raubte. Mathanduninas Körper und Geist mussten gefunden und gemeinsam nach Hause gebracht werden, damit es nicht noch mehr Blutvergießen und Unglück gab.
    Shabalala verschwand im Busch, und Emmanuel holte die Flasche mit den

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