Ein schöner Ort zu sterben
weißen Pillen aus seiner Jackentasche. Ein Ort, der das Herz entweder anrührt oder es zerschmettert, dachte er, während er die Schmerztabletten schluckte und dabei über die afrikanische Ebene schaute. Das Licht hier war vollkommen anders als die kalten, grellen Sonnenstrahlen, die im europäischen Winter den Himmel erleuchteten. Und doch fühlte Emmanuel sich jetzt, wo Louis tot war, so wie dort: alt und müde.
»Liebster Jesus …« Hansie hatte sich hingekniet und die Hände zum Gebet gefaltet. Seine Worte wurden immer wieder von verzweifelten Schluchzern unterbrochen. »Hilf ihm! Schenk ihm die Kraft, dass er den Sturz übersteht! Erhebe ihn, Herr!«
»Er ist tot, Hansie.«
»Ja …« Laut aufschluchzend sank der junge Polizist zu Boden. »Ich hätte Ihnen helfen sollen, ihn vom Berg zu bringen, als Sie es wollten.«
Emmanuel blickte auf den zusammengekrümmten Hansie hinab. Er brachte es nicht über sich, ihm Vorwürfe zu machen. Stattdessen wartete er, bis der Junge aufgehört hatte zu schluchzen.
»Sie konnten es ja nicht wissen«, sagte er.
Hansie stand auf und schüttelte fassungslos den Kopf. »Es tut mir leid, Serge. Ich begreife immer noch nicht, wie das passieren konnte.«
»Irgendwann. Vielleicht.«
Emmanuel ging zu Davida, die mit der Decke über den Schultern dasaß. Sie zitterte nicht mehr, sondern starrte nur auf die atemberaubende Landschaft.
»Wir müssen los.« Wohin genau, wusste Emmanuel selbst nicht. Davida zurück nach Jacob’s Rest zu bringen kam nicht in Frage. Sobald bekannt wurde, dass sie auch nur im Geringsten in Louis’ Tod verwickelt war, würde sich an ihr das Feuer entfachen, das angesichts einer solchen Nachricht die ganze Stadt verschlingen würde. Draußen bei ihrer Mutter auf Kings Farm war sie sicherer aufgehoben.
Davida stand auf und ließ die Decke auf die Erde fallen. Dann trat sie an die Felskante und starrte ins Nichts.
»Ich hoffe, die Löwen fressen ihn«, sagte sie.
Am Horizont drängten sich die Lichter von Elliot Kings Anwesen, sie schienen hell in den nächtlichen Himmel hinein. Emmanuel schloss die Augen und atmete tief durch. Ihm war speiübel. Im Laderaum des Transporters wiegte Shabalala den toten Louis, der nur mehr eine leere Fleischeshülle war. Der Zulu-Constable hatte darauf bestanden, den Jungen nicht aus den Augen zu lassen. Er war überzeugt, Louis’ Geist könnte eine grausame Rache gegen sie heraufbeschwören. Seiner Meinung nach konnte man sich nur davor schützen, wenn man den Jungen zurück zu seiner Mutter brachte. Doch das würde nicht geschehen.
»Halten Sie dicht an der Treppe«, sagte Emmanuel, als sie über die Viehsperre am Anfang der Einfahrt fuhren. Sie mussten Davida bei ihrer Mutter abliefern und dann Louis ins nächstmögliche Leichenschauhaus bringen. Mit Sicherheit würde es eine polizeiliche Untersuchung des Todes geben. Damit ließ sich ein öffentliches Bekanntwerden der Tragödie nicht mehr ausschließen. Alle Geheimnisse von Jacob’s Rest würden im Brennpunkt des Interesses stehen.
Hansie parkte in der Einfahrt hinter dem roten Jaguar und zog die Handbremse.
Emmanuel warf einen Blick zur Veranda. Elliot King und sein mustergültiger Neffe Winston standen oben an der Treppe. Um sie herum ging eine ganze Welt zu Bruch, und die beiden tranken nur ihren Dämmerschoppen und erfreuten sich an ihrem kleinen Paradies.
Wie aus dem Nichts tauchte ein schwarzer Wildhüter in einer Bayete Lodge-Uniform auf und stand plötzlich mit einem Schlagstock in der Hand vor dem Polizeiwagen. Wie alle echten Häuptlinge verfügte auch der reiche Engländer über seine eigene Privatarmee.
Durch die Windschutzscheibe sah Emmanuel, wie King mit seinem Gin Tonic in der Hand winkte und den Wildhüter wegschickte. Emmanuel tastete nach dem Türgriff und merkte, wie Davida seinen Arm umklammerte. Sie zitterte.
»Ich will nicht da raus«, sagte sie.
»Hepple«, befahl er dem Constable, »gehen Sie hinein und holen Sie die Haushälterin Mrs. Ellis. Sagen Sie ihr, sie soll sofort kommen.«
Hansie rutschte vom Beifahrersitz und nahm zwei Stufen auf einmal. Unterwegs kamen ihm die Kings entgegen, die auf dem Weg zum Polizeiwagen waren.
»Ihre Mutter ist gleich da.« Emmanuel versuchte Davida zu beruhigen, die sich an ihn klammerte. »Ich muss mit King reden.«
»Halten Sie die Leute von mir fern«, flehte sie.
»In Ordnung«, versprach er, machte die Tür auf und stieg aus. King und Winston musterten durch die Windschutzscheibe
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