Ein schöner Ort zu sterben
Körperverletzung und Entführung. Das sind beides Straftaten. Sie werden sich vor Gericht verantworten müssen.«
»Meine Mutter …« In Louis’ Augen glomm Angst auf. »Sie wird erfahren, auf welche Abwege der Teufel mich geführt hat.«
»Das ist anzunehmen.« Emmanuel sah nach dem Stand der Sonne. Wenn sie noch vor Einbruch der Dunkelheit in Jacob’s Rest sein wollten, mussten sie jetzt los. In der Polizeistation konnten sie sich nach wie vor nicht blicken lassen. Sie würden Zweigmans Laden als Behelfszelle zweckentfremden müssen, bis Davida wieder sicher zu Hause war. Danach würde er selbst mit dem jüngsten Sohn des Captains in Gewahrsam nach Mooihoek fahren. Wenn die Pretorius-Söhne ihn mit ihrem Bruder erwischten, würden sie ihn bei lebendigem Leibe auffressen.
»Stecken Sie ihn etwa ins Gefängnis?« Während des ganzen Schauspiels war Hansie wie angewurzelt in der Nähe des Gebüschs stehen geblieben. Jetzt aber war er so empört, dass er aufhörte zu schniefen und für seinen Freund in die Bresche sprang.
»Da findet man sich üblicherweise wieder, wenn man der Körperverletzung und Entführung beschuldigt wird, Hepple. So ist nun mal das Gesetz.«
»Aber es ist nicht richtig, dass man einen Weißen wegen einer von denen ins Gefängnis steckt. Es gehört sich nicht.«
»Was sich gehört oder nicht, muss ein Richter entscheiden. Meine Aufgabe ist nur, die Beweise zu finden, den Fall in die Prozessliste einzutragen und vor Gericht auszusagen. Und Ihre übrigens auch.« Emmanuel warf einen Blick auf Davida, um zu sehen, ob sie aufgehört hatte zu zittern. Der lange Marsch zurück zum Wagen würde mit Hansie, Louis und einer traumatisierten Frau im Schlepptau nicht einfach werden.
»Ich kümmere mich um Davida«, sagte Shabalala. »Sie kümmern sich um Mathandunina.«
Beide machten sie sich zum Aufbruch bereit, doch sie kamen nicht weit. Als Emmanuel sich umdrehte, sah er, dass Hansie, das Gesicht von Tränen und Rotz verschmiert, mit seinem Gewehr vor ihm stand und genau auf seinen Bauch zielte. Von einem halbgaren Afrikaander-Jungen eine Kugel in die Eingeweide verpasst zu bekommen, war wirklich ein lausiger Tod.
»Constable Hepple.« Er sprach den Halbwüchsigen mit seinem Rang an, um ihn daran zu erinnern, dass er Polizist war. »Bitte nehmen Sie das Gewehr runter.«
»Nein. Ich lasse es nicht zu, dass Sie Louis ins Gefängnis stecken.«
»Was sollten wir denn mit Ihrem Freund tun, Constable Hepple?«
»Ihn gehen lassen.«
»In Ordnung«, sagte Emmanuel. Jetzt musste Hansie mit einem plötzlichen Machtvakuum zurechtkommen.
»Geh«, drängte der junge Polizist seinen Freund. »Geh! Lauf weg!«
Emmanuel schätzte Louis’ Position ein. Der halbnackte Prophet hatte sich hingehockt und blickte starr hinaus auf das Land, als hätte der Busch, der sich mit seiner ganzen Farbenpracht unter ihm ausbreitete, ihn verzaubert.
»Louis!« Hier, nur umgeben von Felsen und Wolken, klang Hansies Stimme unnatürlich laut und hart. »Was machst du denn? Jetzt hau endlich ab!«
Der Junge stand auf und trat an den äußersten Rand des Felsvorsprungs. Dort breitete er die Arme aus und fühlte den Wind, der vom Busch herüberwehte. Als er sich wieder zur Höhle umdrehte, war sein Haar so strahlend hell wie ein Heiligenschein.
»Dies hier ist ein heiliger Ort. Spüren Sie das, Detective? Die Macht Gottes ist ganz nahe.«
»Ich spüre es«, antwortete Emmanuel. Nur noch ein Schritt, und Louis würde dem Allmächtigen auf Windesflügeln entgegentreten.
»Sie haben recht, Detective. Ich hätte meinen Vater hierher mitnehmen und versuchen sollen, seine Seele zu retten. Wenn ich das gemacht hätte, wäre er jetzt noch am Leben.«
»Es war nicht Ihre Aufgabe, ihn zu retten.« Emmanuel spürte förmlich, wie die Schwerkraft an Louis’ Fersen zog und ihn über den Rand in die Tiefe zu ziehen drohte. »Jeder Mensch ist selbst für die Reinheit seiner Seele verantwortlich. Sie haben nichts Falsches getan.«
Louis lächelte. »Die Sünde war, dass ich es nicht versucht habe. Ich ließ ihn in einem Meer des Lasters treiben.«
»Für Söhne ist es nie leicht, mit ihren Vätern zu reden. Sie haben selbst erzählt, wie schwierig es war, über das zu sprechen, was er tat.« Jetzt bedauerte Emmanuel, dass er den Jungen wegen der Schwachheit seines Fleisches verhöhnt hatte.
»Ich wollte gar nicht, dass er aufhört. Wissen Sie, es gab Abende, da habe ich mich, kaum dass Pa fertig war, ins Gras gelegt und in die
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