Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
gibst du deine geistigen Ergüsse nicht in deiner eigenen Sprache zum Besten? Immerhin würde sie dann wenigstens keiner hier verstehen.“
Ich drehte mich um. Ryans Nase war keine zehn Zentimeter von meiner entfernt, und seine Nasenflügel bebten.
„Du bist sauer“, sagte ich verdattert.
„Aig Sealbh tha brath!“, fauchte er.
„Ähm, Ryan? Ich kann kein Gälisch.“
„Aye! Ist auch besser so!“ Dann knurrte er: „Lieber Gott, bewahre mich vor rationalen Frauen!“, und stolzierte wie ein gereizter Truthahn davon.
Als sich kurz darauf alle wieder in Bewegung setzten, beeilte ich mich, Lucas und Finn einzuholen. „Äh, Lucas?“, flüsterte ich und bemühte mich, mit ihm Schritt zu halten. „Sag mal, was heißt ey–sef–ta–bra?“
„ Aig Sealbh tha brath? Weiß der Himmel!“
„Danke“, murmelte ich und wurde wieder langsamer.
Die Decke über der eingestürzten Wand war mit Eisenträgern, Balken und Drehsteifen gesichert und machte eigentlich einen verlässlichen Eindruck, doch bei dem Gedanken, dass sich über uns die große, aus festem Stein gebaute Haupthalle befand, wurde mir trotzdem mulmig.
„Die Arbeiter haben alles so gelassen, wie es war“, erklärte Rupert. „Ich musste noch nicht einmal etwas sagen. Keiner hat es seit dem Einsturz gewagt, hier auch nur einen Stein anzufassen.“
Der ehemalige Rundbogen, der sicherlich beeindruckend gewesen war, war völlig zerstört und lag über mehrere Meter rundherum verteilt am Ende eines langen und breiten Ganges. Ich konnte Verzierungen erkennen sowie Buchstaben auf einigen Steinen: p, n und t.
„Trug der Bogen eine Inschrift?“, fragte ich.
„Ja, etwas Lateinisches.“ Rupert nickte und blätterte durch die Zettel in seinen Händen. „Wo war das … Ach, hier! Mutus permane. Keine Ahnung, was das heißt.“
„Verbleibe still!“, erklärte Ryan und drehte einen der beschrifteten Steine mit dem Fuß in seine Richtung.
Lucas kratzte sich am Kopf. „Vielleicht ein Bannspruch?“
„Gut möglich!“
„Nein“, sagte ich und betrachtete den Stein, den Ryan zu sich gedreht hatte. Er trug den Buchstaben o . „Es ist kein Bannspruch. Es heißt: Ich verbleibe still. Lateinische Grammatik ist manchmal etwas schwer zu begreifen, aber ich bin mir sicher; es ist eine Aussage, möglicherweise ein Schwur. Und es handelt sich um einen Mann. Mutus – das ist männlich dekliniert. Mutus permaneo – ich verbleibe still.“
„Nicht schlecht, Miss Bergman!“, lobte Finn und lächelte mich an. „Gar nicht schlecht!“
Ryans Miene wechselte von Überraschung zu leiser Bewunderung. „Nun“, sagte er. „Ich denke, wir sollten den Rundbogen, so gut es geht, wieder zusammensetzen. Jo? Schaffst du das?“
Ich lächelte Ryan zu und nickte. „Natürlich.“
„In Ordnung. Finn?“
„Au! Ja, ich bin hier.“ Er tauchte hinter einer Ansammlung von Steinen auf, klopfte sich Staub vom Ärmel und blickte auf ein kleines Messinstrument. „Die Luftfeuchte ist ziemlich hoch, aber okay.“
„Sehr gut! Lucas, nimmst du noch ein paar Proben mit?“
„Bin schon dabei“, entgegnete der, hockte bereits zwischen den Trümmern, und sein knapp bedecktes Hinterteil glänzte blassrosa im Licht der Leuchtstoffröhren.
Als wir aus dem Souterrain zurückkamen, war es kurz vor acht, und über den Bergen war die Nacht hereingebrochen. Ein satter Schimmer aus den Wandlampen erhellte das Vestibül, wodurch die Wandteppiche und Draperien kantenlos wirkten, als würden sie mit ihrer Umgebung zu einem zweidimensionalen Bild verschmelzen.
Ich blickte durch die beiden von Glas durchbrochenen Türen auf den Burginnenhof. Irgendetwas daran kam mir seltsam vor, doch ich konnte beim besten Willen nicht sagen, was es war.
„Alles in Ordnung?“, fragte Ryan.
„Ja, alles okay. Das Licht hier drin ist nur komisch.“
„Alte Burgen sind immer komisch, wenn es dunkel wird“, sagte Finn, lachte böse und verschwand mit Lucas im östlichen Turm.
„Hör nicht auf ihn! Komm, ich bringe dich auf dein Zimmer. Du willst dich bestimmt frisch machen. In einer Stunde gibt es Abendessen, und wir sollten Milly besser nicht warten lassen.“ Ryan lächelte endlich wieder und wies mit dem Kopf in die Richtung, in der Finn und Lucas verschwunden waren.
Wir durchquerten die Halle und betraten die Stufen des Ostturmes.
„Übrigens, das hast du gut gemacht“, sagte er auf halber Höhe. „Das mit der Inschrift, meine ich.“
„Danke! Und hey! Tut mir leid, das im
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